Es war die letzte demokratische, relativ stabile Bastion in einer politisch fragilen Region, der wichtigste Verbündete Europas in der Sahel-Zone im Kampf gegen den internationalen Dschihadismus und irreguläre Migration aus Subsahara-Afrika.
Doch in der Nacht auf Donnerstag bewahrheiteten sich die Vorzeichen der vorangegangenen Tage, in denen vermeldet worden war, Mitglieder der Garde seien an einer "antirepublikanischen Demonstration" beteiligt und Präsident Mohamed Bazoum würde von meuternden Kräften im Palast festgehalten: Im nationalen Fernsehen erklärte Oberst Amadou Abdramane in blauer Uniform, flankiert von Offizieren in grünen Militärjacken: "Die Verteidigungs- und Sicherheitskräfte haben beschlossen, dem Regime, das Sie kennen, ein Ende zu setzen." Das sei Folge "der kontinuierlichen Verschlechterung der Sicherheitslage und der schlechten sozialen und wirtschaftlichen Verwaltung".
Die Verfassung wurde aufgehoben, die Landesgrenzen geschlossen, eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Am Donnerstag schloss sich der Generalstab der nigrischen Armee den Putschisten an. Die Afrikanische Union forderte die unverzügliche Rückkehr der "treulosen Soldaten" in die Kasernen. Auch UN, EU und USA riefen danach und forderten die sofortige Freilassung von Bazoum.
Europa, Freund und Feind
Es ist der fünfte Staatsstreich in der Region seit 2020 – zuletzt sorgten die Militärputsche in Mali und Burkina Faso für internationale Sorgenfalten, vor allem im Westen: Die dortigen Putschisten bevorzugen den Schulterschluss mit Russland und seinen Privatarmeen. Niger war das letzte Land, das westliche Militärmissionen tolerierte: Die USA haben zwei Drohnenbasen und 800 Soldaten zur Ausbildung des nigrischen Militärs stationiert. Im Dezember des Vorjahres beschloss die EU eine dreijährige, bis zu 300 Soldaten umfassende Militärmission in Niger, nimmt dafür 27,3 Millionen Euro in die Hand. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bezeichnete Niger im April als "Damm gegen den Terrorismus". Im Juli besuchte der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell das Land, nannte es "einen soliden und verlässlichen Partner".
Für Frankreich, das nach dem Abzug aus Mali 2022 seine Truppen dorthin verlegte, ist das Land auch aus einem anderen Grund wichtig: dem lokalen Uranvorkommen. Paris bezieht ein Drittel seines Uranbedarfs aus Niger.
Doch während Präsident Bazoum offen zur Zusammenarbeit mit dem Westen stand, herrscht in der Bevölkerung (26 Millionen) wie in der ganzen Region eine historisch bedingte, antifranzösische Stimmung, die das Verhältnis zu Gesamteuropa prägt. "Viele Menschen solidarisierten sich mit der Bevölkerung Malis im Streit mit der früheren Kolonialmacht. Die Opposition und pro-russische Trolle kritisieren die westlichen Militärkooperationen", schreibt Ulf Laessing von der vor Ort ansässigen Konrad-Adenauer-Stiftung im Tagesspiegel.
Gleichzeitig rissen auch unter den demokratisch gewählten Regierungschefs der letzten Jahrzehnte Machtmissbrauch und Korruption nicht ab, der Westen hielt an milliardenschwerer Entwicklungshilfe fest. Der Unmut der Bevölkerung darüber sei groß: "Das meiste Geld fließt nach Niamey und hilft zumindest indirekt einer Elite, die von der Bevölkerung mit Korruption und Vetternwirtschaft identifiziert wird."
Niger ist eines der ärmsten Länder Afrikas und besteht zu zwei Dritteln aus Wüste. Das wichtigste Exportgut: Uran. Das Land mit 26 Millionen Einwohnern ist Zufluchtsort für Tausende Flüchtlinge aus Mali, die vor dem Vormarsch des IS dort fliehen.
1960 wurde Niger von Frankreich unabhängig. Seitdem gab es vier Militärputsche und unzählige Versuche. 2021 fand der erste demokratische Machtwechsel statt, Mohamed Bazoum wurde Präsident.
Russische Alternative
Der Kreml nutzt die belastete Beziehung zu Europa längst für sich, lud am Donnerstag zum zweiten Afrika-Gipfel, versprach verlässliche Lebensmittellieferungen und Waffen. Am Rande des Gipfels soll Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin aufgetaucht sein und Vertreter der Zentralafrikanischen Republik getroffen haben, wo seine Söldner aktiv sind.
Inwiefern russische Kräfte am Putsch beteiligt waren, lässt sich nicht sagen – ihr Einfluss dürfte mit dem Machtwechsel aber steigen.
Letzter Hoffnungsschimmer für die Demokratie: die putschmüde Bevölkerung. Seit 1960 hat das Land vier Putsche und zahlreiche Versuche erlebt – erst im März soll ein Versuch vereitelt worden sein. Via Twitter rief Bazoum dazu auf, die Errungenschaften der Demokratie zu retten. Friedliche Demonstrationen seiner Anhänger wurden mit Schüssen aufgelöst, während Unterstützer der Putschisten, teilweise mit Russland-Fahnen, demonstrieren durften.
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