Todesfalle Sahara: "Ein offenes Massengrab für Migranten"

Eine Gruppe von Menschen sitzt auf der Ladefläche eines Pickups, der durch eine staubige Landschaft fährt.
Nicht nur im Meer, auch in der Wüste sterben zahlreiche Menschen auf dem Weg nach Europa.

Schon seit Jahren begeben sich Menschen aus Krisenregionen von Nordafrika aus auf den gefährlichen Weg in Richtung Europa. Auch 2024 starben wieder mehr als 2.400 im Mittelmeer.

Viele schaffen es aber gar nicht so weit. Denn auch die Routen durch die Sahara, die viele erst durchqueren müssen, werden für zahlreiche Menschen zur Todesfalle.

Der Aktivist Moctar Dan Yayé von der NGO Alarme Phone Sahara rettet Menschen, die in der Wüste in Not geraten. An diversen Migrationsabkommen der EU mit Drittstaaten übt er Kritik.

KURIER: Ihre Organisation sitzt in Agadez, Niger, einem Knotenpunkt der Migration zwischen Sahel und Sahara. Wie kann ein Europäer, der noch nie dort war, sich diesen Ort vorstellen?

Moctar Dan Yayé: Niger ist ein Transitland zwischen Subsahara-Afrika und dem Norden – inmitten der „zwei Afrikas“, wie wir sagen. Vieles von Niger ist Wüste. Es kann extrem heiß, aber auch sehr kalt und windig werden. 

Trotz dieser widrigen Umstände war es früher ganz normal, dass Menschen über Niger vom einen Teil des Kontinents in den anderen gefahren sind. Viele sind zum Beispiel während der Regenzeit für ein paar Monate nach Algerien oder Libyen, um dort in der Landwirtschaft Saisonarbeit zu verrichten.

Porträt eines Mannes mit dunkler Haut und grauem Hemd vor einem grauen Hintergrund.

Moctar Dan Yayé

Bis etwa 2015, als die EU eine strategische Partnerschaft mit der nigrischen Regierung eingegangen ist, und die Behörden – ausgestattet mit Geld und Technik aus Europa – mit den Einschränkungen und Menschenrechtsverletzungen gestartet haben. Dabei wollten viele der Migranten eben gar nicht übers Mittelmeer nach Europa, nur ein Teil davon. Aber da wird kaum unterschieden.

Neben den traumatischen Erfahrungen, die Menschen unterwegs machen, leidet auch die wirtschaftliche Lage der Region unter den begrenzten Mobilitätsmöglichkeiten.

In welchen Zuständen sind die Menschen, die Sie aus der Wüste retten?

In äußerst kritischen. Oft finden wir sie nur noch tot auf, meistens, weil sie verdursten. Das hat damit zu tun, dass offizielle Routen heute geschlossen sind und erfahrene Fahrer, die sich in der Wüste ausgekannt haben, aufgehört haben. 

Das Geschäft sogenannter „Schlepper“ – so werden sie in Europa genannt, ich halte diesen Begriff für falsch – boomt deshalb. Sie arbeiten im Untergrund und nehmen abgelegenere, gefährlichere Wege, um Kontrollpunkten an Grenzübergängen zu entgehen. Ein kaputter Reifen kann so den Tod von 30 Leuten auf einem Auto bedeuten.

Wie viele tatsächlich sterben, ist schwer zu sagen. Zahlreiche Menschen werden vermisst. Im Mittelmeer werden die Leichen angespült, aber in der Wüste sind sie innerhalb von zwei Tagen von Sand überdeckt. Wir sprechen deshalb oft von einem „offenen Massengrab für Migranten“. Wir haben nicht die Kapazitäten oder die Infrastruktur, um sie alle zu suchen. Aber es sind sehr, sehr viele.

Ägypten, Tunesien, Libanon – die EU hat mittlerweile mit einer Reihe von Drittstaaten teure Migrationsabkommen geschlossen. Wie beurteilen Sie diese Deals aus einer humanitären Perspektive?

Sie sind unmenschlich und unehrlich. Es ist traurig, dass die EU sich öffentlich für die Einhaltung von Menschenrechten einsetzt, dann aber über die Zusammenarbeit mit autokratischen Regimen die Leben von Migranten derart gefährdet.

Eine Karte, die Fluchtwege durch die Sahara und über das Mittelmeer nach Europa zeigt.

Fluchtwege durch die Sahara 

Was halten Sie von der Idee, EU-Asylprozesse in Drittstaaten auszulagern, wie Italien das – bisher nicht erfolgreich – in Albanien versucht?

Großbritannien hat das alles schon mit Ruanda probiert und ist gescheitert. Das Gleiche erwarte und erhoffe ich, was die italienischen Pläne angeht. Denn sie sind Unsinn. Aber sie passen zur Art und Weise, wie Europa beim Thema Migration schon länger vorgeht. Es sagt: „Menschen kommen. Damit können wir nicht umgehen. Schieben wir sie in ärmere Länder.“

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