Migration: EU-Länder gehen eigene Wege
von Sarah Emminger, Konrad Kramar und Sara Mendoza Strauss
Seit Wochen dominiert in der deutschen Politik die Frage, wie man künftig beim Thema Migration vorgehen soll. Eine der umstrittensten Forderungen von CDU/CSU an die Ampelregierung: Asylsuchende direkt an der deutschen Grenze zurückweisen - also ohne ein Vorverfahren, wie es die Dublin-III-Verordnung vorsieht.
Ein Treffen mit Regierungsvertretern am Dienstag dazu scheiterte, ganz vom Tisch dürfte die Debatte damit aber noch nicht sein. Alleingänge beim Thema Migration sind in der EU keine Seltenheit, immer mehr Regierungen preschen mit eigenen Maßnahmen vor - und werden dafür zum Teil scharf kritisiert. Ein Überblick.
Griechenland: Illegale Pushbacks
Der Migrationsdruck an der griechisch-türkischen Grenze hat in diesem Jahr wieder zugenommen. Bereits seit Jahren sorgt Griechenland immer wieder mit - illegalen - Pushbacks für Negativ-Schlagzeilen. Erst im Juni dieses Jahres berichtete der britische Sender BBC von mindestens 43 Menschen, die dadurch zwischen 2020 und 2023 ums Leben gekommen sein dürften. Demnach warf die griechische Küstenwache etwa Personen ins offene Meer, wobei mindestens neun starben. Die Regierung in Athen dementiert allerdings vehement, Pushbacks durchzuführen.
Im Juli rügte der Europarat Athen für seinen Umgang mit Migranten und kritisierte auch schlechte Hygienebedingungen in einigen Abschiebezentren, wo es infolgedessen nicht nur zu Kakerlaken- und Bettwanzenbefall, sondern auch zu Tuberkulose-Ausbreitungen kam.
Italien: Aufnahmezentren in Albanien
Auch an den italienischen Küsten sind die Aufnahmelager überfüllt, besonders jenes auf der Insel Lampedusa. Premierministerin Giorgia Meloni preschte im November vergangenen Jahres vor und schloss ein Abkommen mit ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama: Italien lässt in dem Westbalkanland nun Aufnahmezentren für Migranten errichten, die mit dem Ziel Italien über das Mittelmeer kommen. Im Hafen von Shëngjin sollen ihre Daten aufgenommen werden, danach will man sie im Dorf Gjadër in Containern unterbringen. In einigen Wochen soll es zur Eröffnung kommen, wobei diese bereits zweifach verschoben wurde.
Zum ersten Mal werden damit in Europa Asylverfahren in einen Drittstaat ausgelagert. Und: Die Migranten sollen das Lager nicht verlassen dürfen - eine derartige Freiheitsbeschränkung für Geflüchtete widerspreche den Menschenrechten, so die laute Kritik an dem Vorhaben.
Ungarn: "Wenn Brüssel Migranten will, wird es sie bekommen"
Im Juni verurteilte der EuGH Ungarn zu einer 200-Millionen-Euro-Strafe - weil es EU-Asylregelungen nicht umsetze, ein früheres Gerichtsurteil dazu ignoriere und damit Unionsrechtsbruch begehe, so das Urteil. Ungarn will das Geld nicht zahlen. Erst diese Woche kündigte Vize-Innenminister Bence Retvari an, als Reaktion Migranten per Reisebus nach Brüssel bringen zu wollen, nach dem Motto: „Wenn Brüssel sie will, wird es sie bekommen.“
Schon seit Jahren weigert die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán sich, die Migrationspolitik der EU mitzutragen und ist etwa gegen eine Verteilung der Geflüchteten auf die Mitgliedsländer. An der Grenze zu Serbien errichtete Ungarn schon 2015 einen drei Meter hohen, höchst umstrittenen Stacheldrahtzaun. Auch hier soll es zu Pushbacks kommen. Außerdem gibt es zahlreiche Berichte, dass die ungarischen Grenzbeamten gegenüber Geflüchteten Gewalt anwenden.
Niederlande: Große Worte - kleine Schritte
Seit Juni regiert in den Niederlanden eine Mitte-Rechts-Koalition, in der die PVV-Partei des Rechtspopulisten Geert Wilders den Ton angibt - und der ist vor allem scharf, wenn es um die Migration geht. Vorerst aber gibt es kaum mehr konkrete Maßnahmen als verstärkte Grenzkontrollen. Die beschleunigten Abschiebungen abgelehnter Asylwerber sind zwar geplant, aber es hapert bei der Umsetzung. Ihnen wie angekündigt jede staatliche Versorgung zu streichen, erweist sich daher ebenfalls schwieriger als erwartet.
Beendet hat man die Praxis, einzelnen Orten Asylwerber verpflichtend zuzuweisen. Wo sie aber dann landen sollen, ist noch ungeklärt. Von der EU fordert man eine sogenannte "Opt out"-Klausel von der bestehenden Migrationspolitik, aber auch vom geplanten Asyl- und Migrationspakt. Das aber könnte den Niederlanden ebenfalls große Probleme einbringen, da man den Pakt unterschrieben hat. Klagen würden folgen.
Dänemark: "Null Asyl" und keine Ghettos
Das kleine skandinavische Land geht im Umgang mit der Migration schon seit den 1990ern seinen eigenen Weg - und der ist auch unter der derzeitigen sozialdemokratischen Regierung ziemlich klar. "Null Asyl" lautet das Motto von Premierministerin Mette Frederiksen. Und weil das natürlich nicht zur Gänze umsetzbar ist, werden die Asylwerber, die es nach Dänemark schaffen, einem sehr strikten Regime unterworfen. Das heißt etwa Unterbringung in Sammelunterkünften, die unter polizeilicher Bewachung stehen. Großangelegte Abschiebungen nach Syrien sind vorerst aber nur geplant.
Außerdem ist die Unterstützung für Asylwerber im wohlhabenden und teuren Dänemark niedriger als in allen anderen Ländern Westeuropas. Das führt zumindest zu einer höheren Erwerbsquote bei Migranten als im benachbarten Schweden. Außerdem bekämpft man die Bildung von Migranten-Ghettos in den Städten dadurch, dass man Bewohner zum Umzug zwingt.
Spanien: Viel Geld für wenig Migranten aus Marokko
Auch von Marokko aus wollen es jedes Jahr zahlreiche Menschen nach Europa schaffen. Madrid hat daher mit Marrakesch ein bilaterales Abkommen zur Einreisekontrolle von Migranten geschlossen, zahlt dem afrikanischen Land Geld dafür, dass es möglichst viele Personen zurückhält. 2022 wurde dieser Deal noch einmal intensiviert.
Doch: Marokko hat hier die Oberhand. Bereits 2021 benutzte es Migranten an der Grenze zur Exklave Ceuta, um Druck auf die spanische Regierung auszuüben. Mehr als 8.000 Migranten überquerten damals die Grenze und lösten in Spanien einen Ausnahmezustand aus.
Abkommen wie diese wurden auch bereits auf EU-Ebene schon geschlossen: In diesem Jahr zum Beispiel mit Ägypten und dem Libanon - für 7,4 Milliarden und eine Milliarde Euro. Als gescheitert kann man einen ähnlichen Vertrag mit Tunesien von 2023 bezeichnen, nach dessen Unterzeichnung es zu einem Streit zwischen Brüssel und Tunis kam: Menschenrechtsorganisationen berichteten, dass tunesische Behörden zahlreiche Flüchtlinge an der Grenze zu Libyen einfach ausgesetzt und sie gezwungen hätten, das Land mitten in der Wüste zu Fuß zu verlassen. Der EU-Deal sei kaum an Bedingungen geknüpft worden, wurde damals bemängelt.
2023 kündigte der EU-Kommissar für Nachbarschaft, der Ungar Olivér Várhelyi, auch neue Kooperationsprogramme im Umfang von 624 Millionen Euro für Marokko an, darunter 152 Millionen für ein "umfassendes Migrationsprogramm".
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