Migrantenleid in Triest: „In Gesellschaft von Ratten“
Triest, 8.30 Uhr morgens. Abdullah schaut verschlafen aus einem Berg Decken. Neun zählt er und sagt „trotzdem war mir eisig kalt.“ Kein Wunder, es hat Minusgrade in der italienischen Stadt, und seine Pritsche befindet sich nicht in einem Schlafsaal, sondern in den verwahrlosten Silos des alten Triester Hafens. Abdullah ist um die 25 Jahre alt, kommt aus Pakistan. Er ist nicht der Einzige, der hier geschlafen hat. Überall sieht man mit Kartons und Decken errichtete Unterschlupfe. Überall liegt Müll. Ein junger Afghane lugt aus einem Stoff- und Kartonverschlag. Auf die Frage, wie er die Nacht verbracht habe, antwortet er: „In Gesellschaft von Ratten.“
Bis Juli alles reibungslos
Bis vor einem Jahr war Triest ein Vorzeigemodell, was die Unterbringung von Flüchtlingen betraf. „Wir haben dafür gesorgt, dass sie auf Wohnungen verteilt werden und nicht in große, irgendwo außerhalb der Stadt gelegene Aufenthaltsgebäude“, sagt Gianfranco Schiavone, Vorsitzender der Hilfsorganisation ICS (Consorzio Italiano di Solidarietà – Ufficio Rifugiati Onlus). Die Wohnungen werden von ICS auf dem Wohnungsmarkt gemietet. Im Moment sind es 160, in denen insgesamt 1.000 Asylbewerber leben.
Bis vergangenen Juli funktionierte alles reibungslos. Die Flüchtlinge verbrachten zwei, drei Tage in den zwei Aufnahmelagern der Stadt, und sobald die Asylantrags-Formalitäten erledigt waren, wurden sie auf die Wohnungen oder auf andere Regionen verteilt. Heute müssen sie Wochen, wenn nicht Monate warten. So ist das Rotationssystem ins Stocken gekommen. Schiavone schätzt, dass es im Moment an die 130 Neuankömmlinge sind, die darauf warten, in eines der Camps aufgenommen zu werden.
Zum Engpass war es gekommen, weil aktuell viel mehr Menschen über die Balkanroute nach Italien drängen. An die 10.000 waren es 2022, 2021 „bloß“ 6.000. „Das hätte eine schnellere Bearbeitung der Anträge erfordert“, so Schiavone, „doch die Gemeinde unternahm nichts.“
Es sind vor allem Pakistanis, Afghanen, Iraner, Iraker, die den mühsamen und gefährlichen Fußmarsch über Bulgarien, Serbien, Kroatien und Slowenien auf sich nehmen. Sie gehen durch Wälder, überqueren tiefe Schluchten und reißende Flüsse. Und es gibt auch entlang dieser Route immer wieder Tote. Die Flüchtlinge nennen den teils lebensgefährlichen Trip „The Game“. Der eine schafft es schon beim ersten Mal, die EU-Grenze zu passieren, andere brauchen mehrere Anläufe.
Umar ist Mitte 20, kommt aus Pakistan. Voriges Jahr wurde er zweimal von der kroatischen Polizei geschnappt und übel zugerichtet. Er zieht die Hosenbeine hoch und zeigt die Brandnarben an den Beinen.
Sanjay ist 30, kommt aus Afghanistan. Über Rumänien landete er zuerst in Ungarn. „Die Menschen haben uns angezeigt, und die Polizei hat uns geschlagen“, erzählt er.
Mohd, 23, denkt wiederum an die Opfer, die seine Familie gebracht hat, damit er fortgehen konnte. Sie habe ein Grundstück verkauft und sich von Verwandten Geld geliehen.
Bis zu 10.000 Euro für die Schlepper
Bis zu 10.000 Euro verlangen die Schlepper für die Balkanroute, „und trotzdem sind sie für die Flüchtlinge so etwas wie Schutzengel“, sagt Lorena Fornasir. Sie gründete 2018 mit ihrem Mann Gian Andrea Franchi die Hilfsorganisation Linea d’Ombra. Frau Fornasir ist Mitte 60, ihr Mann 86, trotzdem kommen sie jeden Abend gegen 17.30 Uhr bepackt mit sauberen Kleidungsstücken für die Flüchtlinge auf die Piazza della Libertà, vor dem Triester Hauptbahnhof. Frau Fornasir versorgt auch kleine Wunden. Vor allem aber geschundene Füße. „Wir machen das, was eigentlich die Gemeinde machen müsste“, sagt ihr Mann.
Die Angst im Nacken
Die einen bleiben in der Stadt, für andere ist Triest nur ein Zwischenstopp. Oft schon tags darauf nehmen viele den 4.30-Uhr-Zug Richtung Mailand. „Man hat mir gesagt, dass es zu dieser Uhrzeit keine Kontrollen gibt“, erklärt Kamran, der im Silo übernachten wird. Danach geht es weiter zur italienisch-französischen Grenze. Und da beginnt „The Game“ aufs Neue. Wieder geht es durch Wälder, steile Bergpfade, wieder sitzt die Angst im Nacken.
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