PKK-Chef Öcalan ruft zu Waffenruhe auf
In Diyarbakir war die Menschenmenge nicht mehr zu halten, als die Erklärung von PKK-Führer Abdullah Öcalanauf Kurdisch verlesen wurde. Hunderttausende waren am Donnerstag in die heimliche Hauptstadt der Kurden gekommen, um am 21. März das alljährliche „Newroz“-Fest (Neujahr) zu feiern und die Worte ihres Idols zu hören.
Es ist an der Zeit, dass die Waffen schweigen und Ideen sprechen“, hieß es in dem Statement. Alle trügen Verantwortung für die Demokratisierung im Zusammenleben der Volksgruppen und ein Leben auf Grundlage von Freiheit und Gleichheit. „Es ist Zeit für Einheit und Zusammenarbeit.“ Die Masse war begeistert. Denn nach fast 30 Jahren Kampf mit 40.000 Toten wollen auch die Kurden nur eines: Frieden. Und die von der Regierung unter Tayyip Erdogan in Aussicht gestellte Anerkennung der politischen und kulturellen Identität der 15-Millionen-Minderheit versüßt diesen zusätzlich.
Kein Mandela
Dennoch: Öcalan ist kein Nelson Mandela – allein die Brutalität, mit der er Dissidenten in den eigenen Reihen verfolgen und töten ließ, verbietet diesen Vergleich. Aber die Haftanstalt, in der der PKK-Führer seit 1999 einsitzt, hat schon etwas von Robben Island. Imrali ist hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Zur lückenlosen Kontrolle des Seegebietes und des Luftraumes sind 1000 Soldaten zuständig. Die ersten zehn Haftjahre war Öcalan der einzige Gefangene auf dem 25 Quadratkilometer großen Eiland.
Gerade zu Beginn waren die Bedingungen mehr als hart. Öcalan, der eine 13 Quadratmeter große, videoüberwachte Einzelzelle hat, durfte seine Verwandten und Anwälte jede Woche jeweils nur ein Stunde lang sehen – und diese Besuche wurden von den türkischen Behörden oft mit dubiosen Begründungen abgesagt. Der PKK-Chef klagte über Schlafstörungen (das Licht in der Zelle war 24 Stunden täglich eingeschaltet) und Atemprobleme.
2009 wurden nach einem Ausbau der Anstalt – eine ehemalige Kirche – auch acht verurteilte PKK-Aktivisten auf die Insel verlegt. Während des Hofganges hat Öcalan seither mit jeweils drei Mit-Insassen eine Ansprache. Auch einen Hobby- und Tischtennisraum gibt es seit vier Jahren.
Angeblich hat der zu lebenslanger Haft Verurteilte schon mehr als 2300 Bücher gelesen. Er soll täglich um sechs Uhr früh aufstehen und auf seine Gesundheit achten. Dass Öcalan jetzt freikommt, wie einst Mandela, daran glaubt in der Türkei niemand. Aber die Haftbedingungen könnten deutlich gelockert werden – in Richtung einer Art Hausarrest.
Erdogan bekräftigte Zusicherung auf freien PKK-Abzug
Nach dem Waffenstillstands-Appell Öcalan hat die türkische Regierung den Rebellen einen freien Abzug aus der Türkei zugesichert. Seine Regierung werde dafür sorgen, dass abziehende Rebellen nicht von den Sicherheitskräften angegriffen würden, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan laut Medienberichten vom Freitag während eines Besuches in den Niederlanden vor mitreisenden türkischen Reportern. Laut Erdogan halten sich 1400 bis 1500 PKK-Rebellen in der Türkei auf.
Die geplante Waffenstillstands-Erklärung von PKK-Führer Öcalan ist der große Durchbruch im türkischen Kurden-Konflikt. Endlich – nach 30 Jahren Kampf und 40.000 Toten. Warum gerade jetzt?
Dafür gibt es drei Gründe. Regierungschef Erdogan will Staatschef werden, vorher aber per Verfassungsänderung das repräsentative Amt zum Epizentrum der Macht umgestalten. Der Deal: Die Kurden erhalten mehr Rechte, dafür stimmen deren Abgeordnete im Parlament für ein neues Grundgesetz. Zum Zweiten brachten die Ereignisse in Syrien Erdogan unter Zugzwang.
Dort kontrollieren Kurden weite Landesteile. Pläne eines Groß-Kurdistan von Syrien über die nordirakische Autonomie-Region bis zu den türkischen Kurden-Gebieten machten die Runde. Und schließlich kann Erdogan die von ihm angestrebte Rolle eines regional und global players nur dann glaubwürdig ausfüllen, wenn er den Konflikt im eigenen Haus zu lösen vermag. So betrachtet: Gewinner auf allen Seiten, die sich die Früchte auch durch Störfeuer nicht mehr nehmen lassen werden.
27. November 1978: Öcalan gründet mit einigen Dutzend Gleichgesinnten die marxistische PKK.
12. September 1980: Die türkischen Militärs putschen sich an die Macht und verstärken in den Folgejahren erheblich die Repression gegen die Kurden. Öcalan verlässt die Türkei ein Jahr nach dem Staatsstreich.
15. August 1984: Die PKK beginnt mit zwei Anschlägen im türkischen Südosten ihren bewaffneten Kampf. Das ursprüngliche Ziel der Errichtung eines eigenen Kurdenstaates wird im Laufe der Jahre aufgegeben.
19. Juli 1987: Das türkische Parlament verhängt wegen des PKK-Aufstands das Kriegsrecht über Teile Südostanatoliens. In einigen Gebieten bleibt der Ausnahmezustand bis zum 30. November 2002 in Kraft.
24. Mai 1993: Die PKK tötet 33 unbewaffnete türkische Soldaten in einem der folgenschwersten Einzelanschläge der Rebellen.
9. Oktober 1998: Öcalan muss sein Versteck in Syrien verlassen, nachdem die Türkei dem Nachbarstaat mit Krieg gedroht hatte.
15. Februar 1999: Öcalan wird von türkischen Agenten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi gefasst und auf die türkische Gefängnisinsel Imrali gebracht.
29. Juni 1999: Nach einem Hochverratsprozess auf Imrali wird Öcalan zum Tode verurteilt. Die Strafe wird nach Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei 2002 in lebenslange Haft umgewandelt.
1. September 1999: Die PKK ruft eine Waffenruhe aus, die mit Unterbrechungen bis 2005 hält.
5. April 2004: Die EU stuft die PKK offiziell als Terrororganisation ein.
13. August 2005: Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan räumt als erster türkischer Regierungschef die Existenz eines "Kurdenproblems" ein.
4. Oktober 2006: 15 türkische Soldaten und 23 PKK-Kämpfer sterben bei einem PKK-Angriff auf einen Militärposten im türkischen Grenzgebiet zum Irak und zum Iran.
26. September 2011: Erdogan informiert die Öffentlichkeit über gescheiterte Geheimverhandlungen mit der PKK in der norwegischen Hauptstadt Oslo.
28. Dezember 2012: Erdogan gibt den Beginn neuer Friedensverhandlungen zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und Öcalan auf Imrali bekannt.
3. Januar 2013: Erste ranghohe Kurdendelegation besucht Öcalan auf Imrali.
23. Februar 2013: Zweite Kurdendelegation bei Öcalan. Der PKK-Führer stellt die Freilassung von Gefangenen in Aussicht, die von seiner Organisation festgehalten werden.
24. Februar: Die Zeitung "Radikal" berichtet, dass Öcalan die PKK zu einem Waffenstillstand aufrufen will und nennt als mögliches Datum das kurdische Neujahrsfest Newroz.
21. März: Öcalan lässt zum Newroz-Fest vor Kurdenvertretern in Diyarbakir seinen Aufruf zum Waffenstillstand verlesen.
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