Markus Söder: Cleverer Landesvater und machtgieriger Opportunist
Der CSU droht bei der heutigen Wahl eines der schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte. Trägt Parteichef Söder – für die einen cleverer Landesvater, für die anderen machtgieriger Opportunist – Mitschuld?
"Vielleicht war es ein Fehler", wagt sich eine CSU-Delegierte aufs Glatteis, während in der Münchner Messehalle der tosende Applaus für den soeben wiedergewählten Parteichef nachhallt. "Vielleicht hätte sich der Markus nicht im Vorhinein an die Freien Wählern ketten dürfen." Kritik am Parteichef, das hört man innerhalb der CSU nur hinter vorgehaltener Hand – noch. Je nachdem, welches Ergebnis die "letzte große Volkspartei", wie sich die CSU selbst gerne nennt, heute holt, könnte sich das aber bald ändern.
Bayern ist anders, heißt es oft. Die CSU ist es auch. 37 Prozent werden ihr bei der Wahl vorausgesagt. Während sich andere Parteien heutzutage nach so einem Ergebnis rühmen, könnte es bei der CSU als eines der schlechtesten Ergebnisse in die Geschichte eingehen. Einen Stimmenzuwachs dürften nur die Parteien rechts der CSU, die Freien Wähler und die AfD, einfahren. Und das, obwohl Markus Söder am Freien-Wähler-Chef Hubert Aiwanger trotz Flugblatt-Affäre festhielt, um ihm ja nicht die "Märtyrer-Rolle" zu überlassen. Im Wahlkampf schoss er sich konsequent auf die Grünen ein, ließ keine Rede unversucht, um die rechtskonservativsten CSU-Wähler zu befriedigen. Scheinbar vergeblich.
Kann es sein, man wagt in der CSU den Gedanken kaum, dass der Absturz der "letzten Volkspartei" auch am Parteichef selbst liegt?
Ein echter "Macher" ...
Einer ARD-Umfrage zufolge würde die Hälfte der Bayern da vehement widersprechen: Man müsse doch froh sein, dass Bayern einen wie Söder habe! Einen cleveren "Macher" in einer Reihe eher unauffälliger deutscher Ministerpräsidenten, der die Landesinteressen verteidige und den Freistaat vor zu hohen Abgaben im Länderfinanzausgleich und der "Verbotspolitik" Berlins beschütze. Der Bayern mit einer "Hightech Agenda", der mit einem fast sechs Milliarden Euro schweren Forschungsförderprogramm das Bundesland zukunftsfit mache – bitte welches andere Bundesland hat ein eigens Raumfahrtprogramm? Der pragmatisch seinen Kurs auch mal ändere – von Migration über Atomkraft bis zu den Grünen. Der die Menschen emotional abhole und alles gebe – wie in den 110 Bierzelten, die er im Wahlkampf abgeklappert hat, obwohl er eigenen Angaben zufolge gar nicht so gern Alkohol trinkt. Der in Krisenzeiten Erfolge betont: Von Bildungsquote über Wirtschaftswachstum bis Vollbeschäftigung liegt Bayern über dem Bundesdurchschnitt. Wie die CSU sagt: "In Bayern lebt es sich einfach besser."
Die andere Hälfte der Bayern gilt als weniger bis gar nicht zufrieden mit dem Ministerpräsidenten: Für sie ist Söder ein populistischer Opportunist, ein Machtmensch. Sie erinnern an seinen "Asyltourismus", mit dem er Schlagzeilen machte, den er nach wellenhoher Kritik schnell wieder verräumte; an seinen Anti-Atomkraft-Kurs nach Fukushima (mittlerweile ist er für einen Weiterbetrieb), und an jenes pikante Foto, auf dem er einen Baum im Garten der Bayerischen Staatskanzlei umarmte. Heute sind die Grünen Söders Lieblingsfeinde.
Söder fehle es an Glaubwürdigkeit, so lautet oft der Vorwurf, gefolgt vom bekannten Beispiel, er trinkt doch in Wahrheit lieber Cola light als Bier. Im Wahlkampf recycelte er lieber den Wahlspruch von 2018 (aus "Damit Bayern stabil bleibt" wurde "Damit Bayern stark und stabil bleibt") anstatt darüber zu reden, was in Bayern nicht so toll läuft: etwa bei Naturschutz, bei Energiewende, Kinderbetreuung und der (un-)gleichen Bezahlung von Mann und Frau.
Seit 65 Jahren ist die CSU in Bayern an der Macht, doch die Zeiten der Alleinregierung mit absoluter Mehrheit sind längst vorbei: Bei der Wahl 2018 fuhr Parteichef Söder das zweitschlechteste Ergebnis in der Geschichte der CSU ein (37,2 Prozent). Eine Wiederholung droht: Umfragen sehen die CSU bei 37 Prozent, dahinter die Grünen, die Freien Wähler und AfD bei 14 bis 15, die SPD bei neun, die FDP bei nur drei Prozent.
Söder hat im Vorfeld angekündigt, die Koalition mit den Freien Wählern trotz der Flugblatt-Affäre von Parteichef Hubert Aiwanger fortsetzen zu wollen: Im Wahlkampf war eine antisemitische Hetzschrift aus Aiwangers Jugend veröffentlicht worden.
"Die Menschen trauen ihm alles zu, vertrauen ihm aber nicht", fasst es Söder-Biografin und Spiegel-Journalistin Anna Clauß zusammen.
Söder spaltet mehr als er eint. Das ist ein Problem. In der Wissenschaft spricht man von mindestens 35 Prozent, die eine Partei für sich gewinnen muss, um als "Volkspartei" zu gelten. Noch geht sich das für Söder und die CSU aus – knapp.
Kommentare