Seit mittlerweile vier Jahren sitzt Maria Kalesnikova, eine Symbolfigur des Widerstandes gegen Diktator Alexanders Lukaschenko, in Haft. Wo genau, das kann ihre im Exil in Frankreich lebende Schwester nicht mit letzter Sicherheit sagen. Wahrscheinlich in der noch aus der Sowjetzeit stammenden Strafkolonie Nummer 4 in der Stadt Gomel. „Das ist ein sehr altes Gebäude, die Kanalisation ist kaputt, alles stinkt dort unerträglich“, schildert Tatsiana mit leiser Stimme. Sie hat ihre ältere Schwester nie besuchen dürfen, jeglicher Briefkontakt, jeder Anruf wurde vor eineinhalb Jahren verboten.
Seit Februar 2023 gibt es kein direktes Lebenszeichen mehr von Maria Kalesnikova. Was ihre jüngere Schwester über die Ältere weiß, das hat sie von einer im Vormonat amnestierten politischen Gefangenen gehört. Die soll zumindest wiederum von einer anderen Gefangenen vernommen haben, dass sie Marias Stimme hinter einer Zellentür gehört habe.
Rund 1.300 politische Gefangene sitzen in Europas letzter Diktatur hinter Gittern. Im Verhältnis sind das pro Kopf zur Bevölkerung gerechnet mehr als in Russland. Sie werden grausamer, brutaler und härter behandelt als gewöhnliche Gefangene.
Besonders hart geht das Regime gegen die sieben prominentesten politischen Gefangenen vor, darunter Maria Kolesnikova, aber auch gegen den Mann von Swetlana Tichanowskaja sowie gegen Viktor Babariko – an dessen Stelle Maria, die Musikerin, wahlgekämpft hatte. „Von allen Sieben wissen wir nichts mehr“, sagt Tatsiana im KURIER-Gespräch. Klar sei nur: Sie alle befInden sich jeweils in Isolationshaft, für jedes kleinste Vergehen, werden sie in die gefürchtete Strafzelle gesteckt. „Und ein Vergehen kann schon sein, wenn man einen Knopf nicht richtig zugeknöpft hat. Oder den Wärtern nicht freundlich genug antwortet.“
Nur noch 45 Kilogramm
Einen Anwalt hat Maria Kalesnikova schon lange nicht mehr. Allen Rechtsvertretern droht seit mittlerweile zwei Jahren ebenfalls Haft, sollten sie sich für die politischen Häftlinge einsetzen. Die dauernde Einsamkeit, das schlechte und wenige Essen, die Kälte – alles zusammen eine Art Folter, die Maria in Lebensgefahr bringt. Die früher kräftige, 175 Meter große Frau soll nur noch 45 Kilogramm wiegen.
"Sie wollen sie psychisch brechen", ist sich Tatsiana sicher. Brechen bis zu einem Punkt, wo Maria das Regime um Verzeihung bitte. "Unvorstellbar", glaubt Tatsiana, "das wird nicht passieren."
Die politischen Häftlinge von jeglicher Kommunikation abzuschneiden, ihnen das Gefühl zu vermitteln, die Welt habe sie vergessen - "das hat System", sagt Khomich bei einem Besuch in Wien, wo sie auch im Außenministerium um Unterstützung bat. Eine Kombination aus "Druck und Engagement" wünscht sich die junge Belarussin von Österreich im Umgang mit dem Regime in Minsk. Denn Druck allein auf Lukaschenko auszuüben, treibe das Land nur noch weiter in die Arme Russlands.
Seit der Niederschlagung der Proteste nach den Wahlen vor vier Jahren, seit den folgenden Massenverhaftungen, ist jeglicher Widerstand in Belarus erlahmt. Jedes kleinste regime-kritische Posting in den Sozialen Medien kann direkt ins Gefängnis führen. An die 500.000 Menschen haben das Land fluchtartig verlassen, unter ihnen die Jüngsten und Gebildetsten - ein Kahlschlag, den das Land mit nur neun Millionen Einwohnern mittlerweile schmerzhaft spürt.
Selbst Diktator Lukaschenko gibt inzwischen schwache Signale in Richtung Westen. Dass es politische Gefangene gebe, wies er in einem Interview mit der BBC zwar jüngst scharf zurück, doch von den "Extremisten" ließ er in den vergangenen Monaten an die 150 amnestieren.
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