Diese Woche wählt die parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg den neuen Menschenrechtskommissar. Manfred Nowak (73) ist weltweit renommierter Menschenrechtsexperte und kandidiert für den Posten. Seine Konkurrenz sind der irische Direktor der Europäischen Grundrechteagentur (FRA), Michael O’Flaherty, und die frühere bulgarische Europaministerin Meglena Kuneva.
Mit dem KURIER sprach Nowak vor der Entscheidung über seine Ideen für die sechsjährige Funktionsperiode, darüber, warum Klima- und Umweltschutz auch im menschenrechtlichen Kontext eine Rolle spielen und warum er trotz zahlreicher akuter Krisen Optimist bleibt.
KURIER:Der Zustand der Welt war schon erfreulicher. Warum wollen Sie sich das noch einmal antun?
Manfred Nowak: Genau deshalb ist es notwendig, dass ich meine Erfahrung und Expertise einbringe. Die Amtszeit läuft bis 2030, das sind sechs ganz wesentliche Jahre, parallel zur Agenda 2030 der UNO. Wenn die nachhaltigen Entwicklungsziele, die ja im wesentlichen Menschenrechte sind, erreicht werden sollen, müssen wir jetzt radikale Veränderungen vornehmen.
Wo würden Sie Ihren Fokus sonst hinlegen?
Wir hätten nie gedacht, dass es möglich wäre, dass ein Europaratsstaat einen völlig unprovozierten Angriffskrieg gegen einen anderen führt. Das ist sicherlich das Problem Nummer eins. Das heißt, ich würde meinen Beitrag zu einer friedlichen Lösung leisten. Dazu muss man Kompromisse eingehen und derzeit sehe ich die Bereitschaft dazu auf beiden Seiten noch nicht, aber das kann sich ändern. Und dann folgt natürlich die Aufarbeitung.
Karriere Manfred Nowak, geboren 1950 in Bad Aussee, studierte nach seiner Schulzeit in Linz Recht und Volkswirtschaft in Wien und New York. Er war unter anderem UN-Sonderberichterstatter über Folter, Richter des Internationalen Gerichtshofs in Bosnien-Herzegowina und gründete das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte in Wien.
Lehrtätigkeit Aktuell ist der 73-Jährige Generalsekretär des Global Campus on Human Rights in Venedig und lehrt an unterschiedlichen Universitäten. Unter anderem leitet er auch den postgradualen Studiengang "The Vienna Master of Arts in Applied Human Rights" an der Universität für Angewandte Kunst.
Nächster Schritt Am Dienstag wählt die parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg den neuen Menschenrechtskommissar. Gibt es im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit für einen der drei Kandidaten, folgt am Mittwoch eine Stichwahl. Die Funktionsperiode beginnt am 1. April und läuft bis 2030.
Wie kann die aussehen?
Einerseits gibt es Bemühungen, ein Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression einzurichten, also Herrn Putin zur Verantwortung zu ziehen. Dann stellt sich die Frage der Reparationen. Und schließlich ist Russland ein europäischer Staat und wir sollten auf Dauer gesehen versuchen, es – natürlich nur unter einer anderen Führung – wieder in das europäische Konzert zurückzuholen.
Und abseits der Ukraine?
Es gibt eine Reihe ungelöster territorialer Konflikte, sogenannter „frozen conflicts“, die auch mit Putin zusammenhängen. Karabach war so einer, in Georgien und Moldau gibt es andere. Wir haben am Balkan weiterhin Probleme, wir haben auch innerhalb der EU illiberale Demokratien, Stichwort Orbán. Wir kämpfen aber auch mit zunehmender Polarisierung und ökonomischer Ungleichheit.
Eine funktionierende Demokratie bedarf sozialen Zusammenhalts. Wenn die Extreme immer größer werden, gerät sie in Gefahr. Das sind zwar globale Probleme, aber Europa war immer Pionier, auch um sozialen Ausgleich und Menschenrechte in den Vordergrund zu stellen. Und ich glaube, diese Vorreiterrolle muss Europa wieder einnehmen. Auch in der Frage der sogenannten dreifachen planetarischen Krise aus rasantem Klimawandel, Verlust der Biodiversität und zunehmender Verschmutzung der Erde, der Ozeane und des Weltraums. Das sind tickende Zeitbomben.
Wie kann diese ökologische Vorreiterrolle im Menschenrechtskontext aussehen?
Wir brauchen neue Rechte, um mit neuen Herausforderungen umzugehen. Das gab es immer, die Menschenrechte waren nie ein starres Konzept. Und jetzt brauchen wir ein Menschenrecht auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt. Der Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) versucht, dem Thema durch eine dynamische Interpretation der Menschenrechtskonvention (EMRK) gerecht zu werden, aber so hätte er ganz andere Möglichkeiten, die Staaten zu verpflichten, bestimmte Ziele schneller zu erreichen. Das Wasser steht uns bis zum Hals.
Diese dynamische Auslegung hat die ÖVP im Kontext untersagter Abschiebungen erst 2022 hart kritisiert.
Würden Sie im Nahostkonflikt Stellung beziehen? Israel ist ja kein Mitgliedstaat.
Ich würde mich da im Prinzip einmal zurückhalten und in Europa darauf drängen, dass ein vernünftiger Diskurs geführt wird, der nicht zu Radikalisierung und weiterer Polarisierung führt. Wir müssen wieder Vertrauen schaffen, zwischen den Menschen, aber auch zwischen den Parteien. In der Demokratie geht es nicht darum, den Gegner zu vernichten, Demokratie lebt von Toleranz. Dieser Hass, den ich zunehmend in der Politik sehe, macht mir wirklich Sorge.
Keine guten Aussichten.
Aber es gibt auch Grund für Optimismus. Wir haben in den 75 Jahren seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sehr viel Positives erreicht. Die Menschenrechte sind das einzige universell anerkannte Wertesystem unserer Zeit. Sie sind völkerrechtlich festgeschrieben, also rechtlich durchsetzbar. Und sie haben immer dann ihre revolutionäre Kraft entfaltet, wenn der Leidensdruck extrem groß war.
Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1789 war eine Antwort auf die Unterdrückung durch den Absolutismus, die Universelle Erklärung der Menschenrechte 1948 war eine Antwort auf die Gräueltaten zweier Weltkriege und des Holocausts. Ich glaube trotz allem an die Vernunft der Menschen, keinen Dritten Weltkrieg oder Klimakollaps zuzulassen, denn beide wären fatal für das Überleben der Menschheit.
Stichwort Optimismus: Wie schätzen Sie Ihre Chancen auf den Posten ein?
Ich bin schon sehr zuversichtlich, aber ich habe sehr starke und kompetente Konkurrenz und wage keine Prognosen.
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