Mafia zweigt Pandemie-Hilfsgelder ab - und erobert Mailand
Das organisierte Verbrechen stürzt sich zunehmend auf die boomende Stadt im Norden.
31.07.21, 05:00
Von Andrea Affaticati
Seit Jahrzehnten hat die Mafia wie eine Krake – daher die bildliche Bezeichnung „Piovra“ – ihre Fangarme in den Norden ausgestreckt, besonders Richtung der Wirtschaftsmetropole Mailand. Alle drei heimischen Organisationen sind hier zur Stelle: Die sizilianische Cosa Nostra, die neapolitanische Camorra und, allen voran, die kalabrische ’Ndrangheta. Geschickt unterwandern sie saubere Unternehmen und verleiben sich marode Betriebe ein. Wo Geld fließt, ist sie zur Stelle.
Auch im Fall der Hilfsgelder, die der Staat seit Ausbruch der Pandemie verteilt hat. Bei einer Überprüfung wurden 600 Firmen ausgemacht, die Zuschüsse kassiert haben obwohl sie mit einem Anti-Mafia Zertifikat belegt waren. Das ist ein Dokument, das anhand von Indizien Verstrickungen mit der organisierten Kriminalität nahelegen. Und obwohl es sich nicht um Beweise handelt, dürfen die Unternehmen, solange ihre Unbefangenheit nicht erwiesen wurde, weder an Ausschreiben teilnehmen, noch staatliche Hilfsgelder erhalten.
„Manches geht dabei aber durch die Lappen“, sagt David Gentili dem KURIER. Er ist Vorsitzender der Antimafia Kommission im Mailänder Rathaus. „Denn wenn ein Unternehmen noch nicht mit diesem Zertifikat belegt ist, kann es auch nicht ausgeschlossen werden.“
Die Sorge, dass sich die Mafia in Mailand jetzt, wo in Kürze Italien die ersten Hilfsgelder aus dem EU Recovery Fund erhalten soll, noch mehr einnisten wird, treibt auch Bürgermeister Giuseppe Sala um. Weswegen er vor ein paar Tagen seine Mitbürger aufforderte von nun an noch aufmerksamer zu sein. „Wir müssen uns bewusst sein, dass besonders in Mailand die Präsenz der Mafia so gefährlich wie noch nie ist.“
Salas Sorgen, zusammen mit denen der regionalen Industrie-, Handels- und Gaststättenverbände, die ihrerseits immer wieder auf das Problem hinweisen, „sind mehr als berechtigt“, bestätigt Gentili. „Nur, Mailand ist nicht erst seit der Pandemie, der begehrteste Wirtschaftsstandort im Land.“ Ihre Präsenz in der lombardischen Metropole habe sich im letzten Jahrzehnt schon enorm verdichtet. Die Ursache hierfür war die Mailänder Weltausstellung EXPO 2015.
Boom und Geldwäsche
Die Stadt erlebte in den Jahren davor einen regelrechten Immobilienboom, ganze Viertel wurden umgebaut, Wolkenkratzer schossen in die Höhe. Gleichzeitig vermehrte sich die Zahl der Restaurants, Lokale exponentiell. „Was ja auch positiv ist“ meint Gentili. „Nur, das Angebot übersteigt heute bei weitem die Nachfrage.“ Zwar ermöglicht der Immobilienmarkt weitaus lukrativere Geschäfte, das Gaststättengewerbe eignet sich aber bestens zum Geld waschen.
Es sind aber nicht nur die EU-Wiederaufbaugelder, die jetzt nach Mailand fließen, auch beträchtliche Investitionen in die olympischen Winterspiele 2026, die in Mailand und in den Dolomiten um Cortina d’Ampezzo stattfinden sollen, stehen an.
„Das von der Antimafia-Behörde ausgestellte Zertifikat ist in sich eine letale Waffe“, erklärt Gentili. Das schwierigste für die Ermittler de ist aber, die eigentlichen „Besitzer“ der suspekten Unternehmen auszumachen.
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