Macron in Deutschland: Auf den Spuren von Charles de Gaulle und Co.
Der französische Präsident will auf einer "deutschen Promenade" von West nach Ost die Beziehung zur Bundesrepublik – und vor allem zu Kanzler Scholz – aufpolieren.
30.06.23, 18:00
aus Paris Simone Weiler
Zu den großen Fußstapfen, in die Emmanuel Macron gerne tritt, gehören auch jene von Charles de Gaulle. Der General, der im Zweiten Weltkrieg eine entscheidende Figur der Résistance gegen die deutschen Nazi-Besatzer und später der erste Präsident der Fünften Republik war, reiste sieben Jahre nach Kriegsende mit einer Mission durch das Nachbarland: Aussöhnung. Zu seinen wichtigsten Auftritten gehörte seine "Rede an die deutsche Jugend", die er 1962 in deutscher Sprache in Ludwigsburg vor einem jubelnden Publikum hielt.
Gut 60 Jahre später kommt nun auch Macron nach Ludwigsburg und wird sich ebenfalls, allerdings in Dresden, an die jungen Leute richten – pikanterweise zu einem Zeitpunkt, an dem die französische Jugend in vielen Vororten des Landes gerade auf die Barrikaden geht. Eine Verschiebung des Besuches war am Freitagabend nicht ausgeschlossen.
Ursprünglich erschien der Zeitpunkt für den ersten Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 23 Jahren ideal: Im Jänner wurde das 60-jährige Jubiläum des Élysées-Vertrages begangen, welchen de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer nach dem Zweiten Weltkrieg unterzeichneten. Empfangen und begleitet werden Macron und seine Frau Brigitte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, in Berlin trifft man auf Kanzler Olaf Scholz. Vorgesehen sind eine Bootsfahrt auf der Spree, einer sportpolitische Veranstaltung sowie ein Treffen mit deutschen, französischen und ukrainischen Jugendlichen. Den Abschluss bildet der Besuch in Dresden.
Dem Élysée-Palast zufolge geht es bei der Reise um einen möglichst vielfältigen Blick auf die Gesellschaft des Nachbarn. Und um große Symbolik.
Denn während Macron der Ex-Kanzlerin Angela Merkel im November 2021 einen rauschenden Abschied bereitete, wirkt die Beziehung zu ihrem Nachfolger Scholz noch immer wenig vertraut.
Mal hielt der deutsche Kanzler eine programmatische Europa-Rede, ohne Frankreich nur einmal zu erwähnen; dann wieder stieß er die "European Sky Shield Initiative" mit mehreren EU-Staaten zum Schutz des Luftraums an, die auf US-amerikanische und israelische Militärtechnik anstatt auf ein französisch-italienisches System setzte. In Berlin wiederum sorgten Alleingänge und Aussagen Macrons für Kopfschütteln – wie seine Warnung, Europa dürfe im Konflikt zwischen China und Taiwan nicht zu einem "Mitläufer" der USA werden. Auch in der Energiepolitik herrscht keine Einigkeit: Deutschland hält am Atomausstieg fest, Frankreich investiert in Reaktoren.
Die Beziehungen waren im vergangenen Jahr jedenfalls auf einem Tiefpunkt. Doch ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die persönliche Beziehung zwischen Präsident und Kanzler den einen und anderen Konflikt ausgleichen konnte. Auf das visionäre Duo de Gaulle und Adenauer folgte die Freundschaft zwischen dem Hanseaten Helmut Schmidt und dem Großbürgerlichen Valéry Giscard d’Estaing; später jene zwischen dem Konservativen Helmut Kohl und dem Sozialisten François Mitterrand, deren Handschlag vor den Gräbern von Verdun Geschichte schrieb. Fremdelten Jacques Chirac und Gerhard Schröder zunächst, so fanden sie eine gemeinsame Linie bei der Ablehnung einer Beteiligung am US-Einmarsch in den Irak.
Macron versuchte schon im Verhältnis zu Merkel, trotz konträrer Persönlichkeit eine ähnliche Nähe herzustellen. Mit Scholz dürfte es nicht leichter werden.
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