EU als "dritter Pol"
Es sei wichtig, dass die EU als „dritter Pol“ in der Weltordnung neben China und den USA seine eigene, starke Rolle finde, ohne sich an den „amerikanischen Rhythmus oder an eine chinesische Überreaktion“ anzupassen.
Da der Aufbau einer "strategischen Autonomie" Europas jedoch noch Zeit brauche, plädierte Macron für Zurückhaltung im Konflikt um Taiwan: Europa solle sich "aus Krisen, die nicht die unseren sind", heraushalten. Unmittelbar nach seiner Abreise startete China ein militärisches Großmanöver, bei dem es die Blockade der Insel simulierte. Dies galt als Antwort auf einen Besuch der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen in Kalifornien.
Vor allem aus den USA kamen empörte Reaktionen auf Macrons Aussagen. Der US-Senator Marco Rubio erklärte auf Twitter, wenn Europa in der Taiwan-Frage nicht klar auf der Seite Chinas oder der USA stehe, dann sollten sich die USA im Ukraine-Krieg vielleicht auch nicht auf eine Seite stellen. Tatsächlich hat das Land die Ukraine inzwischen mit mehr als 32 Milliarden Euro unterstützt. Der deutsche CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen kritisierte, wenn der chinesische Präsident Xi Jinping den Eindruck bekomme, Europa verhalte sich im Fall eines Angriffs auf Taiwan neutral, werde ein solcher Angriff wahrscheinlicher. "Macron scheint von allen guten Geistern verlassen", so Röttgen.
"Teilen Werte"
Am Dienstag reagierte schließlich der Élysée-Palast. Eine Sprecherin stellte klar, dass die USA Verbündete Frankreichs seien: "Wir teilen gemeinsame Werte." China hingegen gelte Paris als "Partner, Konkurrent und systemischer Rivale". Frankreich sei nicht gleich weit von beiden Ländern entfernt.
Genau das ließen hingegen die Worte des Präsidenten durchscheinen. Provokationen dieser Art sind nicht neu. Unvergessen ist Macrons Aussage im Herbst 2019 nach einem Konflikt mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, die NATO sei "hirntot". Gefallen war sie wie auch jetzt in einem schriftlichen Interview, das sein Pressedienst freigegeben hatte.
Im Vorjahr sorgte Macron vor allem in der Ukraine, aber auch in den USA für Unverständnis mit der Warnung, den russischen Präsidenten Putin zu "demütigen" oder mit der Forderung nach "Sicherheitsgarantien" für Moskau im Fall von Verhandlungen. Er wollte sich damit als möglicher Vermittler profilieren. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 verfolgt Macron die Vision eines eigenständigen Weges der EU unter anderem in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Mit der Forderung nach mehr Emanzipation von den USA steht der 45-Jährige in der Tradition seiner Vorgänger von Charles de Gaulle über François Mitterrand bis Jacques Chirac. Dieser wird bis heute in Frankreich für sein "Non" an der Beteiligung des US-Angriffs auf den Irak im Jahr 2003 verehrt. Macron ist durch den Widerstand gegen seine unpopuläre Rentenreform innenpolitisch stark unter Druck. Nun versucht er offenkundig, dies durch eine selbstbewusste Haltung auf der internationalen Bühne auszugleichen.
Um die Einheit Europas zu signalisieren, nahm er zum Staatsbesuch nach China auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit. Eine Einheit, die er nun durch seine Aussagen wieder in Gefahr brachte. Für Missmut hatte dagegen in Paris gesorgt, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz im vergangenen Herbst die französische Idee eines gemeinsamen Besuchs bei Xi Jinping ausschlug.
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