Macron nahm erste Hürde: Le Pens Elan ist gebrochen
Der liberale Quereinsteiger Emmanuel Macron hat die erste und für ihn wohl heikelste Hürde genommen. Der 39 jährige Politneuling, der erst vor einem Jahr seine partei-unabhängige Zentrumsbewegung gegründet hatte und mehrfach als „mediales und konsistenzloses Retortenprodukt“ totgesagt wurde, ging am Sonntag, laut ersten Hochrechnungen mit rund 23,9 Prozent in Führung.
Seine Rivalin für die Stichwahl ist Marine Le Pen, die - immerzu laut Hochrechnungen - auf etwa 21,7 Prozent gelangte. Die Nationalistin konnte zwar eine Million Stimmen seit der vorhergehenden Präsidentenwahl 2012 dazu gewinnen, aber unter ihren Anhängern, die sich in ihrer nordfranzösischen Bastion Henin versammelt hatten, war die Enttäuschung darüber spürbar, den Platz eins verfehlt zu haben, der lange Zeit zum Greifen nahe schien. Die, im Vergleich mit der Versammlung der Anhänger von Macron in Paris, geringere Begeisterung zeugt wohl von der Vorahnung, dass Le Pen ihren Elan weitgehend eingebüßt hat.
Für die beiden großen Traditionsparteien war der gestrige Wahlausgang eine Katastrophe: der skandalbelastete Kandidat der konservativen „Republikaner“ schied mit rund 20 Prozent aus dem Rennen. Damit konnte der einst als Favorit gehandelte Fillon den Linksaußen-Tribun Jean Luc Melenchon nur geringfügig übertreffen – Melenchon gelangte auf etwa 19,2 Prozent.
SP-Kandidat wurde zerrieben
Dieses für Melenchon durchaus beachtliche Ergebnis (noch vor einem Monat hielt er in Umfragen bei 11 Prozent) kam nicht zuletzt auf Kosten des SP-Kandidaten Benoit Hamon zustande, der bei sechs Prozent grundelte. Der von der SP bei Vorwahlen im Jänner gekürte Linkssozialist Hamon wurde förmlich zerrieben zwischen dem charismatischeren Linksausleger Melenchon und dem gestrigen Sieger Macron, der den Großteil der moderaten SP-Wähler, und zuvor schon etliche pragmatische SP-Politiker, in seinen Bann gezogen hatte.
Kommentar: Sieg des Mannes ohne Partei
Auf einen, neben Le Pen, ebenfalls ziemlich nationalistischen anti-EU-Kandidaten, Nicolas Dupont-Aignant, entfielen fünf Prozent. Weitere, insgesamt, drei Prozent gingen an linksradikale und anti-EU-Kandidaten.
Das bedeutet aber auch, dass insgesamt 49 Prozent der Stimmen auf Politiker entfielen, die, wenn auch mit unterschiedlicher Färbung, der EU ablehnend bis feindlich gegenüber stehen und einen radikalen Bruch mit den gegebenen Verhältnissen versprechen.
Le Pen gegen "erbarmungslose Globalisierung"
Insofern wäre es verfehlt anzunehmen, dass für Macron bereits alles gelaufen sei. Jetzt beginnt ein quasi neuer Wahlkampf mit dem Duell zwischen Macron und Le Pen, der noch für Überraschungen sorgen kann. Marine Le Pen wird den Ex-Banker und vormaligen liberal-sozialen Wirtschaftsminister Macron noch heftiger als bisher als „Repräsentanten mächtiger Finanzinteressen“ und Wegbereiter der „erbarmungslosen Globalisierung“ brandmarken.
Eva Twaroch (ORF) aus Paris
Eine derartige Stoßrichtung gegen Macron kann auch bei vielen Linkswählern und bei jenen Teilen der Bevölkerung, die in den letzten Jahren einen sozialen Abstieg erlitten, auf erheblichen Widerhall stoßen. Le Pen wird also, fast wortgleich wie der Linkstribun Melenchon, ihre Kampagne, sinngemäß als „Aufstand des Volks und der kleinen Leute gegen die Eliten ohne Bodenhaftung“ inszenieren.
Macron-Porträt: Ein Feingeist auf dem Weg zum Elysee
Die Wähler, die im ersten Durchgang für den Linkstribun Melenchon stimmten, werden zwar deswegen kaum zu Le Pen überlaufen, sie könnten sich aber in relevanter Zahl enthalten und schon alleine dadurch die Chancen der Nationalistin erhöhen.
Für viele, vor allem junge Linke ist Macron ein absolutes Feindbild geblieben: hatte er doch, als er noch in der SP-Regierung als Wirtschaftsminister amtierte, eine Arbeitsmarktreform angestoßen, die der Unternehmern mehr Freiraum verschaffte, und gegen die ein Teil der Gewerkschaften und linken Jugendbewegung 2016 monatelang Sturm gelaufen waren. Marine Le Pen lehnt ihrerseits ebenfalls diese Arbeitsmarktreform ab.
Le Pen biedert sich Linken an und verliert bei Konservativen
Der Hang von Le Pen zu sozialer Demagogie und gelegentlicher Anbiederung an weit linke Positionen dürfte ihr aber umgekehrt die Möglichkeit versperren, konservative Wähler von Fillon in bedeutendem Ausmaß für sich zu gewinnen. Noch schwerer wiegt in diesem Milieu gegen Le Pen ihre erklärte Absicht, Frankreich aus der EU und dem Euro zu führen. Das dürfte ihr bereits gestern die entscheidenden Prozentpunkte bei rechtskonservativen Wählern, die ihr ansonsten nahestehen, gekostet haben.
Kommentare