Macrons Kampf um die Anführerrolle Europas
aus Paris Simone Weiler
Emmanuel Macron, in schwarz-weiß gehalten, mit zusammengebissenen Zähnen und hervortretendem Bizeps beim Training. Die Fotos seines offiziellen Fotografen Soazig de la Moissonnière sind nicht nur in Frankreich Gesprächsthema. Die Kommentare in den Sozialen Medien reichen von Vergleichen mit Rocky Balboa, während andere behaupten, der französische Präsident würde sich "auf den Kampf mit Waldimir Putin vorbereiten". Auch Mutmaßungen, ob der Fotograf an der Bizeps-Größe des Präsidenten etwas gefeilt habe, wurden getätigt. Die politische Opposition sah die Bilder eher als "ziemlich beunruhigende Kommunikationsentscheidung".
Macron setzt sich liebend gern mit Fotos in Szene: Während seines Wahlkampfs 2022 ließ er sich auf einem Sofa faulenzend, mit aufgeknöpftem Hemd und seine behaarte Brust zeigend ablichten; nach Kriegsbeginn in der Ukraine zeigte er sich auf seinem offiziellen Instagram-Account nach Vorbild des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij im schwarzen Hoodie.
Ein Geschichtsprofessor von der Universität Lothringen, Éric Anceau, beschrieb auf X , dass die Fotos "Teil der neopopulistischen Männlichkeit seien, die bestimmte Führer heute lieben, angefangen beim (bisherigen) Meister des Genres Wladimir Putin".
Ob sie gefallen oder nicht: Die aktuellen Fotos des starken, kämpfenden Macrons passen zu seinem oft geäußertem Anspruch, eine europäische Führungsfigur zu sein. Dass er selbst durch sein Handeln als französischer Staatschef in die Geschichtsbücher eingehen will, ist eine Gewissheit in Paris.
Grundsatzrede
Seine Grundsatzrede zu Europa, die er wenige Monate nach seiner Wahl 2017 in der berühmten Pariser Universität hielt, entpuppte sich als ein Feuerwerk der Ideen. Eine davon war das Konzept der "strategischen Autonomie", das Macron auch während der französischen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 verteidigte.
Seit der russischen Invasion in die Ukraine zur gleichen Zeit, die Europa zwang, sich energie-, sicherheits- und verteidigungspolitisch neu aufzustellen, erhielt es neue Brisanz. Macron hält sich zugute, früh gefordert zu haben, dass sich die EU von den USA emanzipieren solle. Hinsichtlich der Haltung zu China nahm er in auffälliger Einigkeit mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Abstand vom Ansatz des "Decouplings" und sprach wie sie lieber von "Derisking": In der angespannten geopolitischen Debatte war dies ein Signal der Entspannung, ohne den Druck auf das Land zu mindern, sich an geltende Regeln der internationalen Wirtschaftsbeziehungen zu halten.
Anfang Mai steht Medienberichten zufolge ein Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Paris an, kurz nach einer Visite des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz in Peking im April. Anlass ist der 60. Jahrestag der Wiederaufnahme chinesisch-französischer Beziehungen. Doch es dürfte auch um die guten Verbindungen zu Russland gehen, die China zum Missfallen der Europäer aufrechterhält.
Bei Xis letztem Besuch in Paris 2019 bat Macron die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und den damaligen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dazu; ob er die Geste nun wiederholt mit einer Einladung an Scholz und von der Leyen, ist noch nicht bekannt. Beim Rückflug von einem Staatsbesuch in China vor einem Jahr irritierte Macron viele Partner mit der Warnung, Europa dürfe sich nicht in den Konflikt zwischen China und den USA um Taiwan hineinziehen lassen, um nicht zum "Vasall" der Amerikaner zu werden.
Tabubrüche
Ähnlich provozierende Worte hatte Macron auch schon bei anderen Anlässen gewählt, etwa 2019 mit seiner Kritik, die NATO sei "hirntot". Der gezielte Tabubruch ist ein Markenzeichen des 46-Jährigen, innen- wie außenpolitisch. Letztes Beispiel war seine Aussage, er schließe die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht aus, die er mehrmals bekräftigte: Gegenüber einem russischen Gegner, der alle Grenzen überschreite, dürfe man sich selbst keine setzen – und es gelte, Moskau über die eigenen Vorhaben im Unklaren zu lassen.
Einmal mehr zeigte sich hier ein Graben zwischen Macron und Scholz, der heftig widersprach. Demgegenüber versicherte der französische Präsident vor einer Woche nach einem Besuch in Berlin, dass der Kanzler und er "eine große gemeinsame Sicht" auf die Lage in der Ukraine hätten. "Nur die Art, wie wir diese ausdrücken, ist unterschiedlich." Ebenso wie die Strategiekulturen beider Länder: Deutschland halte sich fern vom Nuklearen und neige in militärischer Hinsicht zu großer Vorsicht, Frankreich besitze Atomwaffen und eine umfassende Berufsarmee. Berlin habe mehr Haushaltsspielraum, aber Frankreich "kann Dinge tun, die Deutschland nicht tun kann". So ließ Macron eine mögliche Aufgabenteilung zweier Partner auf Augenhöhe aufscheinen. Denn darauf legt er, der sich als europäischer Antreiber par excellence versteht, Wert.
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