London nach Brexit-Votum: Kein Plan und freies Spiel der Kräfte
Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg, das hatte Premierministerin Theresa May nach ihrem Abstimmungsdesaster Dienstagabend im Londoner Unterhaus versprochen. Doch am Tag danach war erst einmal offener Schlagabtausch angesagt.
Ein Misstrauensantrag der Labour-Party ging im Unterhaus nicht durch. So zerrissen sich die Konservativen bei der Abstimmung über den EU-Austrittsdeal präsentiert hatten, so geschlossen sind sie, wenn es darum geht, ihre Regierungsmacht zu verteidigen.
Herausforderer Corbyn
Allein der Gedanke, Labour-Chef Jeremy Corbyn den Weg in die Downing Street freizumachen, versammelt auch die härtesten Gegner Mays hinter der Premierministerin.
Entsprechend offensiv trat May auch ihrem Herausforderer entgegen, schloss ihn am Mittwoch gleich einmal von den Gesprächen aus, die sie mit allen politischen Kräften im Unterhaus über das weitere Vorgehen machen will. Man brauche konstruktive Kräfte, war aus der Partei zu hören, Corbyn aber wolle keine Lösungen suchen, sondern lediglich Neuwahlen.
Woher diese Lösungen kommen sollen, und das bis nächsten Montag, ist unklar. Dann nämlich muss die Premierministerin dem Unterhaus ihren „Plan B“ präsentieren: Wie will sie in den kommenden Wochen weitermachen, um das Land nicht am 29. März, dem geplanten EU-Austrittsdatum, über die Klippe springen zu lassen, in einen Brexit ohne Ausstiegsvertrag?
Bewegungsspielraum für einen neuen Kompromiss gibt es wenig, das machten Parlamentarier aus allen Parteien deutlich.
May, so meinte etwa die Chefin der schottischen SNP-Partei, Nicola Sturgeon, müsse einige ihrer roten Linien überschreiten. Das wäre etwa zuzulassen, dass Großbritannien auch nach dem Brexit Teil der EU-Zollunion und Freihandelszone bleibe.
Eine Option, die May weiterhin kategorisch ausschließt. Möglichkeiten für einen neuen Kompromiss kann also derzeit niemand erkennen.
Vorstoß der EU-Gegner
Die Ratlosigkeit der Regierung versuchen die Anhänger eines harten, also kompromisslosen Brexit für sich zu nützen. Angeführt vom ehemaligen Brexit-Minister Steve Baker haben sie ein Strategiepapier in Umlauf gebracht.
In diesem ist der Plan für einen Brexit ausgeführt, der ohne Austrittsabkommen funktioniert, bei dem aber der EU gleichzeitig ein fertiges Freihandelsabkommen vorlegt wird. Das Chaos, das ein EU-Austritt ohne Abkommen auslösen würde, soll so vermieden werden.
Zweites Referendum
Doch auch die EU-Befürworter machen Druck. Vor allem in der Labour-Opposition treten immer mehr Parlamentarier für ein zweites Referendum über den EU-Austritt ein. Wenn Parlament und Regierung nicht in der Lage seien, eine sinnvolle Strategie zu finden, müsse eben das Volk noch einmal zu Wort kommen.
Parteichef Jeremy Corbyn, der vom Austritt aus der EU, die er als Linker ja ablehnt, nicht abrücken will, kommt immer stärker unter Druck.
Außerdem versucht man ein Bündnis mit konservativen Parlamentariern zu schmieden, die den Brexit aus wirtschaftlichen Gründen ablehnen. Eine Rebellion von Abgeordneten also, die über einen Antrag im Parlament der Regierung die Entscheidung über den Brexit aus der Hand nehmen wollen. Großbritanniens lose parlamentarische Spielregeln machen das möglich.
So kommt auch die Premierministerin immer mehr unter Druck, rasch einen Schritt zu setzen. Der einzige aber, der derzeit machbar scheint, ist auf Zeit zu spielen.
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