Leben im Iran: "Manche denken über Selbstmord nach"
„Ich will nicht, dass irgendjemand aus meiner Familie und meinem Freundeskreis zu Schaden kommt“, sagt Maryam.
Maryam heißt eigentlich anders. Und auch ihre Biografie soll hier nur schematisch stehen. Die Iranerin ist jung, gebildet, urban; sie gehört zur Mittelschicht, mehr soll man nicht wissen. Warum? Weil das, was sie erzählt, nicht zu dem passt, was das Regime dem Westen glauben machen will: Dass der gesamte Iran hinter der Führung in Teheran steht.
„Wir haben Angst“, sagt sie.
Die wirtschaftliche Lage, die politische Eskalation, die Aussicht auf einen drohenden Krieg mit den USA mache sie und viele ihrer Freunde „verzweifelt. Keiner hier will einen Krieg“, sagt sie.
Und die Tausenden, die mit brennenden US-Flaggen durch die Straßen der Hauptstadt ziehen, die den Tod von General Soleimani beklagen und einen Krieg gegen die Amerikaner herbeirufen? Die gebe es natürlich. Nur: Nicht alle gingen da aus purer Überzeugung mit, sondern aus Angst vor der eigenen Staatsführung. Teils würden Staatsdiener für ihre Teilnahme bezahlt, mit Bussen zu den Demos gekarrt – unter der Androhung harter Sanktionen, sagt auch Iran-Experte Ali Fatollah-Nejad vom Think Tank Brookings. Der Iran beherrsche die Kunst, Bilder zu erzeugen, die eine vollkommene Einheit des Volkes hinter dem Regime suggerieren.
Bis zu 1500 Tote
Ablenken soll diese Inszenierung auch davon, dass es im Gottesstaat seit Längerem gärt. Im November erst waren Tausende Iraner auf die Straßen gegangen, um gegen die Führung zu demonstrieren; bis zu 1500 Tote forderten die Unruhen – die Bilder davon drangen aber nicht bis in den Westen, da der Iran das Internet abdrehte. „Ich habe mich damals nicht auf die Straße getraut“, sagt Maryam, auch ihre Freunde seien aus Angst zu Hause geblieben. Dass Geld für einen möglichen Militäreinsatz da sei, aber nicht für die inneren Probleme, ärgere viele, erzählt sie.
Wirtschaftlicher Niedergang
Demonstriert hatten im November hauptsächlich Ärmere, solche, die unter dem wirtschaftlichen Niedergang seit Beginn der US-Sanktionen am meisten leiden, sagt Maryam. Die Führung hatte die Proteste selbst angefacht, indem sie die Benzinpreise verdreifacht hatte – man wollte so den angeschlagenen Staatshaushalt sanieren. Das setzte einen Dominoeffekt in Gang: „Die Inflation beträgt 40 Prozent, sie fühlt sich aber weitaus höher an“, sagt ein anderer vor Ort, der ungenannt bleiben möchte. Für Fleisch zahlt man mittlerweile das Doppelte, auch die Preise für lebensnotwendige Medizin haben sich vervielfacht. Kontrastmittel für Krebsuntersuchungen etwa gibt es nicht mehr – außer für Wucherpreise.
„Die USA haben der Zivilgesellschaft mit der Tötung von Soleimani den schlechtesten Dienst erwiesen“, sagt er. Der Unmut der Bevölkerung sei nach wie vor da, aber nur unterschwellig. Das Regime habe leichtes Spiel, um eine Wagenburg-Mentalität herzustellen.
In seinem Bekanntenkreis herrsche auch nicht die Kriegsfreude, die das Regime zelebriert. „Die Leute sind alle sehr nervös. Viele, die den Iran-Irak-Krieg in den 1980ern miterlebt haben, fürchten einen neuen Krieg. Sie fragen sich, wie das weitergehen soll.“
Selbstmord-Problematik
Maryam erzählt, dass es in ihrem Bekanntenkreis sogar solche gebe, die gar nicht mehr weiterwissen: „Manche sind so ängstlich, dass sie über Selbstmord nachdenken“, sagt sie – vor allem jüngere Menschen hätten solche Gedanken.
Im Iran ist das ein bekanntes Problem. Das Land hat eine der höchsten Suizidraten weltweit. 125 Selbsttötungen auf 100.000 Bewohner hat das Teheraner Gesundheitsministerium im Jahr 2018 registriert; drei Viertel der Opfer waren unter 34 Jahre alt. Zum Vergleich: Im Westen kommen knapp 12 Suizide auf 100.000 Personen.
„Niemand weiß, was morgen ist“, sagt Maryam. „Das macht uns alle traurig und hoffnungslos.“
Mitarbeit: Paul Maier
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