Es war 2014 der Fall, ebenso 2019 – und auch heuer wird wieder vor einem „Erstarken der extremen Rechten“ gewarnt, vor einem „Rechtsruck Europas“. Doch wie sehen das die Umfragen? Und wie viel Macht können die rechten Parteien Europas, die in vielen Dingen gegensätzlicher Meinung sind, tatsächlich auf sich vereinen?
Geringe Zuwächse
Während die FPÖ in Österreich die Umfragen zur EU-Wahl tatsächlich seit Monaten anführt, sieht die wahrscheinliche Sitzverteilung im EU-Parlament jedoch nicht anders aus als 2019. Kamen die beiden rechten Fraktionen „Konservative und Reformer“ (EKR) und „Identität und Demokratie“ (ID) damals auf insgesamt 135 Sitze, sind es laut Politico-Umfragen heuer 143 – das sind keine 20 Prozent der 720 Sitze. Wohlgemerkt ohne die deutsche AfD, die ihre derzeit neun Sitze auf 15 ausbauen könnte, aber kürzlich aus der ID-Fraktion ausgeschlossen wurde .
Große Differenzen
Auch könnten sich Parteien wie die ungarische Fidesz der EKR anschließen – doch grundsätzlich gibt es viele inhaltliche Differenzen im rechten Lager Europas. Von den Positionen zu NATO und Russland über Wirtschaftspolitik oder den Umgang mit Minderheiten anderer Staaten. Die Ansichten von Fidesz und der rumänischen AUR in Bezug auf die ungarische Minderheit in Rumänien könnten etwa unterschiedlicher nicht sein.
Der Widerspruch zwischen dem Nationalismus und einer wie auch immer gearteten gemeinsamen EU-Politik tritt in zahlreichen Konflikten zutage. So triumphiert die italienische Lega (die laut Umfragen massiv verliert), wenn Italien beim Streit um den Lkw-Transit über den Brenner gegenüber Österreich punktet. Ein Triumph, den die FPÖ aus offensichtlichen Gründen nicht teilen kann.
Migration und Klima
Dass beide Fraktionen an einem Strang ziehen, ist im Bereich der Migration am wahrscheinlichsten – doch dieses Thema ist längst auch in der christdemokratischen EVP und teilweise auch in der sozialdemokratischen S&D verbreitet.
Das zeigt sich am Beispiel des Migrations- und Asylpakts, der im Dezember vergangenen Jahres das EU-Parlament passierte. Das Ziel: sichere Grenzen und geregelte Migration.
Bei der finalen Abstimmung im März votierten 301 Abgeordnete (51 Enthaltungen) für die Verschärfung des Asylrechts.
Allerdings bricht bei näherer Betrachtung auch im Bereich der Migration das geeinte Bild der rechten Parteien: Plädieren die einen dafür, Migranten und Flüchtlinge umzuverteilen, blockieren andere alles, was ihre eigenen Staaten betreffen könnte.
Ein weiteres Thema, bei dem ein gestärktes rechtes Lager eher kooperieren würde, ist der Klimaschutz. Und auch dort sind sie nicht allein. Schenkt man den Umfragen von Politico Glauben, werden die europäischen Wähler die Fraktion der Grünen stark schwächen: 41 Sitze würde die Gruppe demnach erreichen – nach 74 bei der letzten Wahl. Andere Umfragen sehen sie bei 55 Sitzen – der Verlust dürfte jedenfalls stark ausfallen.
Keine absolute Mehrheit
Parteien aus dem linken Spektrum warnen vor einer möglichen Zusammenarbeit der christdemokratischen EVP und den beiden rechten Fraktionen. Doch selbst wenn EVP, EKR und ID tatsächlich an einem Strang zögen, kämen sie laut Politico zusammen auf lediglich 315 von 720 Stimmen und würden eine für eine Blockade notwendige absolute Mehrheit deutlich verfehlen.
Dazu kommt, dass der „Green Deal“ auch ohne Zutun des EU-Parlaments, das grundsätzlich weniger Einfluss auf die europäische Politik hat als Kommission und Rat, derzeit zumindest diskutiert wird. Deutlich wird das anhand des Renaturierungsgesetzes, das am 17. Juni im Rat der Europäischen Union scheitern könnte.
Andererseits haben bereits viele Maßnahmen zum Klimaschutz das EU-Parlament passiert. Hier einen sogenannten Review-Prozess zu starten, bedürfte einer absoluten Mehrheit.
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