Wenn elitär-dummes Partyvolk in Sylt und weichgetrunkene Maturanten in Kärnten „Ausländer raus“ grölen, wankt der Kontinent unter den zu wehrenden Anfängen; wenn ein Islamist in Mannheim einen Polizisten absticht, vergreift sich die Kronenzeitung zum Lynchjustiz-nahen Titel „Polizist tot … sein Mörder lebt hingegen noch!“ – und nicht wenige nicken; und am Sonntag dann geht Europa überhaupt den Bach hinunter, weil uns die EU-Wahl einen Rechtsruck samt Sieg des rechtspopulistischen Blocks bescheren wird. Zwischen Islamisten da und Rechtspopulisten dort geht das Abendland gerade unter.
Allein: Es gibt keine einige rechtspopulistische Fraktion in der EU. Und schon gar keine Mehrheit. Ja, Rechtspopulisten von Geert Wilders bis zur FPÖ haben oft versucht, sich zusammenzutun – zuletzt scheiterte Viktor Orbán daran. Weil Egos und Eitelkeiten zu groß sind. Weil die Bewegungen unterschiedlich sind. Und sich wandeln.
Bestes Beispiel ist Marine Le Pen: Sie hat die Partei ihres antisemitischen, rechtsextremen Vaters über bald eineinhalb Jahrzehnte Richtung gesellschaftlicher Mitte geführt. „Entdämonisierung“ lautete der Kurs. Kein Raus aus der EU, weniger giftig-radikale Töne, aber ein prononcierter Kurs gegen Einwanderung und ihren „schädlichen Einfluss“ auf die französische Gesellschaft, die mit Migrationsproblemen befasst ist wie kaum eine zweite – da sehen ihr viele Franzosen Sünden wie die große Nähe zu Putin (und dessen Geld) nach.
Le Pen will 2027 beim vierten Anlauf endlich in den Élysée einziehen – bei der Wahl am Sonntag wird ihr Kandidat furios siegen. Dass sie die unappetitlichen deutschen AfD-Recken aus einer rechten Fraktion im EU-Parlament werfen ließ, war wohl auch ein Stück Taktik vor der Wahl.
Le Pen geriert sich als Vertreterin der Mitte so wie Giorgia Meloni, die ihre postfaschistische Vergangenheit wie einen alten Handschuh abgestreift und ihren Schrecken verloren hat. Italiens Regierungschefin bekennt sich (nicht zuletzt aus finanziellen Gründen) zu Europa, ist im Kreis der Regierungschefs salonfähig und wird selbst von Ursula von der Leyen umworben – die braucht Stimmen für ihre Wiederwahl zur Kommissionschefin.
Darf man mit den Entdämonisierten politisch „können“ und zusammenarbeiten? Die Zerrissenheit der Rechtspopulisten in Europa – die Anti-System-Krakeeler der FPÖ zum Beispiel schaffen keine Distanzierung zu den Pfui-Teufeln der AfD – ist auch eine Chance für andere Parteien: Eine ganze Reihe von Themen, mit denen Le Pen, Meloni & Co. groß geworden sind, angefangen beim kulturellen Wandel Europas durch den lange Zeit ungebremsten Zuzug, verdient Behandlung. Dringende. Sonst werden irgendwann tatsächlich die übernehmen, die sich populistisch seit jeher darauf verstehen. Auch die unappetitlichen.
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