EU macht Ernst und bereitet Sanktionen vor

Deutschlands Kanzlerin Merkel erhöht den Druck auf Putin.
EU will am Montag Einreise- und Kontosperren verhängen. Erster Toter im ostukrainischen Donezk.

Der deutsche Außenminister Steinmeier sieht vor dem Krim-Referendum am Sonntag kaum noch Hoffnung auf eine diplomatische Lösung. Das Treffen der Außenminister der USA und Russlands an diesem Freitag in London bezeichnete er als "vermutlich letzten Versuch".

Die mehrere Seiten lange Liste der EU mit geplanten Sanktionsschritten gegen Russland ist fertig. Gearbeitet wird nur noch an den Namen und Personen, die Ziele dieser Strafmaßnahmen werden sollen. "Niemand von uns wünscht sich, dass es zu solchen Maßnahmen kommt", sagte Kanzlerin Merkel am Donnerstag. Sie warnte Russland, es werde sich selbst massiv schaden – "ökonomisch wie politisch".

Moskau warnte: Sanktionen würden wie ein "Bumerang" zurückschlagen. Dennoch wollen am Montag die USA und EU die Sanktionen in Kraft setzen, wenn Russland zu keinen Konzessionen bereit ist. Es wären die erste Sanktionen der EU gegen Moskau seit Ende des Kalten Krieges. Dann werden Kontakt- und Einreisesperren gegen etliche Mitglieder des russischen Militär- und Sicherheitsapparates und der Duma verhängt, Vermögen eingefroren. Präsident Putin und Außenminister Lawrow stehen nicht auf der Liste.

Solche "intelligenten Sanktionen" hätten überwiegend symbolischen Charakter – die wirtschaftlichen Folgen seien gering, sagt Russland-Experte Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Weder die EU noch Russland hätten Interesse daran, die Handelsbeziehungen auf Dauer zu zerstören. Wie wird Moskau auf die EU-Sanktionen antworten? " Putins Strategie baut darauf auf, die Ukraine zu destabilisieren", vermutet WIIW-Ökonom Michael Landesmann. Wenn die Ukrainer schon bald viel mehr für Strom und Gas zahlen müssen, könnte die neue Regierung in Kiew rasch unbeliebt werden.

USA drücken Ölpreis

Paradoxerweise spielt Putin dabei just der US-dominierte Internationale Währungsfonds (IWF) in die Hände. Dieser verhandelt über Hilfskredite, die die Ukraine vor der Pleite retten sollen. Eine Bedingung: Die Regierung in Kiew muss die staatlichen Subventionen, welche die Energiekosten für die Ukrainer abfedern, abschaffen. Landesmann hofft, dass sich der IWF "vernünftig" verhält und die sozialen Folgen für die Ärmsten mildert.Nach Ansicht des Experten muss sich die Ukraine auf Schikanen bei Exporten nach Russland einstellen. Diese hat es bereits punktuell gegeben. Eine Totalblockade des Handels wäre aber auch gegen russische Interessen.

Ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Moskau kam aus den USA: Die Amerikaner gaben Teile ihrer strategischen Ölreserven frei, wodurch der Ölpreis kurzzeitig um 1,5 Dollar absackte. Ein niedriger Preis schadet Russland, dessen Staatshaushalt auf Öleinnahmen angewiesen ist. Präsident Obama hatte angekündigt, Moskau müsse "einen Preis dafür zahlen", wenn es internationales Recht breche.

"Um Russland ein wirklich starkes Signal zu geben, müssten die USA den Export ihres Öls erlauben, der stark beschränkt ist", sagte David Wech, Chef des Beratungsunternehmens JBC Energy, zum KURIER. Die USA hätten die weltweit größten Öllagerstätten und könnten Europas Abhängigkeit von russischem Gas zumindest verringern. "Das würde die Preise kurzfristig deutlich unter Druck bringen."

Toter in Donezk

Sanktionen hin oder her – in der Ostukraine spitzt sich die Lage weiter gefährlich zu: Bei Zusammenstößen zwischen prorussischen und prowestlichen Demonstranten in Donezk wurde laut Rettungskräften ein 22-Jähriger erstochen. ZDF-Reporter berichteten von zwei Toten. 16 weitere Menschen seien verletzt worden, so die Behörden.

Am Abend hatten im Zentrum von Donezk etwa tausend Anhänger der proeuropäischen Führung in Kiew gegen eine Spaltung der Ukraine demonstriert. Daraufhin tauchten doppelt so viele Anhänger der prorussischen Seite auf. Einigen gelang es, die Polizeikette zu durchbrechen. Laut ZDF-Beobachtungen ging von ihnen die Gewalt aus. Ein Eingreifen russischer Truppen in diesem Teil der Ukraine wird befürchtet.

Am Mittwoch betrieb Angela Merkel wieder sichtbares Krisenmanagement: Bei einem Kurztrip nach Warschau besprach die deutsche Kanzlerin die Krim-Krise mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Beide hatten danach eine Neuigkeit: Die Ukraine wird schon kommende Woche beim EU-Gipfel ihr Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnen. Das seinerzeit geplante Abkommen war einer der Ausgangspunkte der Krise in der Ukraine gewesen. Jetzt doch zumindest seinen politischen Teil rasch abzuschließen, war so rasch nicht geplant gewesen – und ist eine klare Warnung an Russlands Präsident Putin.

Dass Merkel das nicht im Alleingang bestimmen konnte, ist klar: Sie musste das zumindest mit den wichtigsten EU-Regierungschefs und mit EU-Kommissionspräsident Barroso vorbereitet haben.

Damit ist das ein gutes Beispiel dafür, wie diskret und effizient sie ihre Rolle als die führende Person des Westens in dieser Krise ausfüllt. Sogar aus Washington waren zuletzt unverhohlene Bitten aus Politik und Medien gekommen, die Kanzlerin möge in dessen ganzen Namen und nicht nur ihres Landes Russlands Präsident Putin zum Einlenken in der Krim bringen, von Präsident Obamas Ex-Außenministerin Hillary Clinton bis zu CNN-Starmoderatorin Christiane Amanpour.

Merkels dominante Rolle speist sich aus vielen Komponenten. Sie ist inzwischen dienstältester Regierungschef im Westen, wodurch sie eine über achtjährige, durch nichts zu ersetzenden Erfahrung an der Spitze hat. Länger als sie regiert nur ihr widerspenstiger Gesprächspartner Wladimir Putin.

Neue Rolle

Beide kennen einander daher auch sehr gut und damit die Stärken und Schwächen des anderen. Die russisch sprechende Merkel als DDR-Bürgerin ist dabei dem ebenso gut deutsch sprechenden Ex-KGB-Offizier in der DDR psychologisch besser gewachsen als jeder andere. Und sie hat mit den in den letzten Jahren von ihr forcierten deutsch-russischen Regierungskonsultationen auch den besten institutionalisierten Kontakt zu ihm.

Zu ihrer persönlichen Stärke in so fordernden Situationen wie jetzt gehören größere Diskretion und mehr Pragmatismus, als sich andere Regierungschefs leisten. Dass das alles derzeit bei Putin nicht reicht, ist eine bittere Erfahrung auch für Merkel.

Damit bleibt vorläufig unbekannt, wie oft sie in den letzten Wochen mit ihm, Obama und anderen telefonierte. Wenn ihr Sprecher über manche Gespräche berichtet, ist das eine bewusste Erzählung: Zur Beruhigung der Öffentlichkeit.

Gerade jetzt wächst mit Merkel Deutschland in eine Rolle hinein, die es seit 1945 nie richtig haben wollte und nur durch seine Größe und Wirtschaftsmacht in der EU ausfüllte: Die eines des führenden Players der Weltpolitik. Anders als 1989, wo es Hauptbetroffener und -profiteur vom Zusammenbruch des Ostblocks war, und anders auch als die UN-Sicherheitsratsmitglieder und Atommächte Großbritannien und Frankreich, die in dieser größten Krise der Ost-Westbeziehung seither fast nur Zuschauer sind.

"Es ist ein sehr ernster Konflikt in Europa", sagte Merkel nach dem Gespräch mit Tusk in Warschau. Sie verwies auf die von der EU ab Montag, nach dem erwarteten Anschluss-Entscheid der Krim an Russland, vorbereiteten Sanktionen. Dass die mit dem Einfrieren einiger russischer Prominenten-Konten und Visa-Verweigerungen milder ausfallen, als von Washington eigentlich angestrebt, begründete Merkel indirekt so: "Wir lösen Konflikte nicht militärisch, wir gehen ihnen aber auch nicht aus dem Weg. Ich glaube, wir brauchen einen sehr langen Atem." Den hat sie öfter bewiesen als jeder andere.

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