Wie eine Augenärztin zwischen Ukraine und Österreich pendelt, um zu helfen
Kommt sie oder kommt sie nicht? In der privaten Klinik für Augenmikrochirurgie in der transkarpatischen Stadt Uzhorod ist jedenfalls alles für die Transplantation vorbereitet. Auch die Patientin ist da. Nur der Bote mit der Hornhaut im Kofferraum lässt noch auf sich warten.
Doch es sind gut 1.000 km von der Organspende-Bank in Dnipro bis in die Klinik in der Westukraine – durch ein Land im Krieg, mit derzeit wieder täglichem Luftalarm.
10.30 Uhr, bald sollte er da sein. Tetiana Gaidamaka spricht ruhig, leicht angespannt. „Die Transplantation ist sehr komplex“, erklärt die Augenärztin mit 40 Jahren Berufserfahrung. „Hoffentlich klappt alles wie geplant.“
Der gute Geist von Uzhorod
„Mein Land verraten“
Frau Doktor Gaidamaka gilt als Koryphäe in ihrem Land. Bis zum Beginn des Krieges vor knapp einem Jahr hat sie Tausende Menschen an den Augen operiert. Nach sieben Tagen Bombardement auf ihre Heimatstadt flüchtete sie mit ihrem Mann Hans-Dirk Anfang März – von Odessa nach Österreich.
Seit Mai nimmt sie einmal pro Monat den Bus in ihre Heimat, um Menschen mit komplizierten Augenkrankheiten zu behandeln.
Sie möchte ihren Landsleuten helfen, es gibt jedoch noch einen Grund für ihren humanitären Einsatz: „Mein Mann und ich haben eine kleine schöne Wohnung in Mauerbach gefunden. Doch ich konnte dort nächtelang nicht einschlafen. Ich fühlte mich wie im Vakuum. Ich hatte ständig das Gefühl, dass ich mein Land und meine Patienten verraten habe.“
10.35 Uhr: Die kleine Kühlbox mit der Hornhaut trifft soeben ein! Jetzt geht alles schnell: Der Chefarzt der Klinik Valeriy Belyayev und seine Kollegin Tetiana Gaidamaka, ziehen ihre hellblauen Mäntel über, eilen in den OP-Saal. Die Nervosität legt sich mit ihrem Tun.
Und es soll ein guter Tag für die Patientin werden. Nach einer Stunde ist die alte Hornhaut restlos entfernt und die neue komplikationsfrei eingesetzt.
„Die richtigen Leute“
Deutlich länger dauert die längst routinierte Anreise der Ärztin aus Mauerbach: Mit dem Bus fährt Tetiana Gaidamaka zuerst von Wien nach Budapest, von dort mit einem privaten Sammeltaxi in die Ukraine, immer nach Uzhorod, zuletzt auch nach Kiew.
Ihr Problem: „Unser Unsicherheitsfaktor ist die Grenze zwischen Ungarn und der Ukraine.“ Einmal wartete sie zwölf Stunden.
„Ich bin Ärztin geworden, um Menschen zu helfen“, erklärt sie vor einer weiteren Operation. „Ich kann nicht zu Hause sitzen und nichts tun.“ Soldaten und Kriegsflüchtlinge werden übrigens an der Klinik in Uzhorod kostenlos behandelt.
Valeriy Belyayev erklärt das so: „Das sind wir den Menschen in der Ukraine schuldig.“ Über die ärztliche Verstärkung aus Österreich freut er sich: „Als sie mich das erste Mal angerufen hat, wusste ich, dass die richtigen Leute zusammenkommen. Tetiana ist eine anerkannte, in der Kollegenschaft hoch geschätzte Fachärztin.“
„Mein Leben gerettet“
Umso weniger kann er daher verstehen, dass die heute 62-Jährige in Österreich nicht einmal in die Nähe eines Skalpells kommen darf.
Ivan Durskyi wird jetzt aufgerufen. Der Vater eines zweieinhalb Jahre alten Sohns fuhr stundenlang mit dem Auto her, umarmt sofort seine Ärztin. Sie hat ihn zur Kontrolle bestellt. Er betont dankbar: „Sie hat mein Auge und mein Leben gerettet.“
Er war – so wie auch der Klinikdirektor Oleg Moroz – an der Front. In einem Dorf bei Mariupol trafen ihn im Juni Splitter einer Granate. Danach lag die Sehleistung seines rechten Auges bei nur noch einem Prozent. Erst im November bekam er eine neue Hornhaut. „Heute kann ich immerhin schon bis zu fünfzig Prozent sehen.“
Nach zwei intensiven Arbeitstagen in der Klinik wartet am nächsten Morgen um 4 Uhr ein Taxi vor ihrem Hotel. Tetiana Gaidamaka ist nicht unzufrieden. Sie hat zwei Landsleute operiert, weitere zwanzig untersucht.
„Ich bin sehr froh“, sagt sie zum Abschied. „Ich habe meinen Patienten helfen können. Alles ist gut gegangen.“ Und wenn dieser Krieg es endlich zulässt, dann wird sie auch wieder in ihr geliebtes Odessa fahren.
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