Täglich Tote und keine Lösung: Portland versinkt im Fentanylrausch

Täglich Tote und keine Lösung: Portland versinkt im Fentanylrausch
Der US-Bundesstaat Oregon hat vor zwei Jahren den Besitz kleiner Mengen Drogen entkriminalisiert, die Hauptstadt Portland leidet massiv unter dieser Politik. Ein KURIER-Lokalaugenschein.

„Ich hasse diese Stadt, ich hasse diese Regierung, ich hasse dieses Land!“, brüllt eine Stimme durch die regnerische Nacht. Die drei jungen Frauen, die unter einem Hauseingang zusammenkauern, stören die Schreie nicht: Eine von ihnen hält Alufolie mit einem Pulver über ein Feuerzeug, inhaliert die Dämpfe mit einem kleinen Rohr.

Daneben lodert ein winziges Lagerfeuer, wenige Meter weiter liegen menschliche Exkremente auf dem Gehsteig. Doch die Frauen haben nur Augen für die Schwaden über der Alufolie. Denn diese enthalten Fentanyl, eine Droge, die Portland und die gesamte US-Westküste seit Jahren vor massive Probleme stellt. Allein in den USA starben im Jahr 2022 mehr als 70.000 Menschen daran – es ist die häufigste Todesursache für Menschen zwischen 18 und 45 Jahren. Die Substanz macht innerhalb kurzer Zeit abhängig, ist etwa einhundert Mal so stark wie Morphium und fünfzigmal so stark wie Heroin. Fentanyl ist rasch und billig zu produzieren – und vor allem leicht zu schmuggeln.

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Zwei Milligramm tödlich

Bereits zwei Milligramm reichen aus, um den Konsumenten zu töten. Kaum ein Tag vergeht, an dem in Portland niemand an einer Überdosis stirbt – fast 500 waren es im vergangenen Jahr. „Ich hasse euch alle!“, schreit die Stimme wieder. Sie gehört einer zusammengekauerten Gestalt, die auf einer bröckeligen Mauer hockt, den Kopf unter einer Decke versteckt. Der Stimme nach zu urteilen, handelt es sich um einen jungen Mann – auf Ansprechversuche reagiert er nicht.

Er brüllt weiter, während sich nicht weit entfernt eine ältere Dame einen Schuss setzt. All das spielt sich nicht in einem Außenbezirk der Stadt ab, sondern mitten im Stadtzentrum. Teure Restaurants säumen die Straße, Menschen in Abendgarderobe ziehen schnellen Schrittes vorbei an den gebückten Abhängigen. Sicherheitsleute bewachen Boutiquen wie Cocktailbars.

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Auch vor normalen Supermärkten stehen Wachleute, umgeben vom Gestank aller möglichen menschlichen Ausscheidungen. Um die Eingangsbereiche herum stehen Dutzende Drogensüchtige und betteln. „Es ist mir egal, ob ich je wieder in einem Haus wohne. Dieses Leben ist frei von Knechtschaft“, sagt eine Frau mittleren Alters. Ein guter Teil ihres Gebisses fehlt ihr.

Keine Strafen

Seit 2021 ist es in Portland und dessen Bundesstaat Oregon nicht mehr strafbar, eine gewisse Menge an Drogen zu besitzen und in der Öffentlichkeit Drogen zu konsumieren. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte zuvor für die sogenannte „Measure 110“ gestimmt, in Portland waren es mehr als 70 Prozent.

Kalte Hotline

Findet ein Polizist Drogen bei einer Kontrolle, kann er einen Strafzettel in Höhe von einhundert Dollar ausstellen. Diese müssen allerdings nicht bezahlt werden – ein Anruf bei einer Hilfe-Hotline genügt. Zusätzlich wird dort angeboten, sich einer Drogenberatung unterziehen zu können.

Von Februar 2021 bis September dieses Jahres riefen von 6.271 ausgestellten Strafzetteln für Drogenbesitz 499 Personen die Hotline an. Von denjenigen, die bei der Hotline anriefen, wurden insgesamt 50 Personen in Behandlung genommen. Wie hoch der Anteil jener ist, die die Behandlung erfolgreich absolvierten, ist unklar. Dazu kommt, dass viele Polizisten gar keine Strafzettel mehr ausstellen – es sei sinnlos. Bevor das neue Gesetz in Kraft trat, hatten Personen, die mit geringen Mengen Drogen erwischt wurden, in der Regel die Wahl zwischen einem gerichtlich angeordneten Entzug oder strafrechtlichen Sanktionen wie Gefängnisaufenthalt oder Bewährung. Jetzt fehle ein echter Anreiz zur Behandlung.

Ziel der „Measure 110“, so deren Befürworter, war es, den „Krieg gegen die Drogen“ zu beenden, indem man „Drogensüchtige nicht mehr als Kriminelle brandmarkt“.

Wenig Erfolge

Dafür sollten mehr Anreize geschaffen werden, Süchtigen einen Entzug zu ermöglichen, obdachlosen Drogensüchtigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Ein guter Teil des Geldes kommt dafür von den Steuereinnahmen durch Cannabisverkauf in Oregon – etwa 300 Millionen Dollar. Bisher sind diese Hilfsprogramme allerdings nur mäßig erfolgreich. Obdachlose würden Wohnungen ablehnen, da sie sich dann gewissen Regeln unterwerfen müssen – etwa, zu fixen Zeiten zu erscheinen, berichten Helfer.

Massenunterkünfte werden von Frauen gemieden, denn die Furcht vor Vergewaltigungen ist groß. „Ich habe lange Zeit gedacht, meine Auto-Versicherung wäre völlig sinnlos. Seit einiger Zeit tut mir das Versicherungsunternehmen fast schon leid“, sagt Michael, ein Pensionist aus Portland, zum KURIER.

Die Stimmung dreht sich

Es vergehe kaum ein Monat, in dem die Scheiben seines Autos ganz blieben. „Einmal fand ich sogar einen schlafenden jungen Mann in meinem Auto. Er hat einfach das Fenster eingeschlagen und in den Scherben geschlafen“, erzählt er. Eine Garage könne er sich nicht leisten, das Fahrzeug brauche er dennoch. „Ich habe keine Ahnung, wie dieses Problem gelöst werden kann. Aber so kann es mit unserer Stadt nicht weitergehen“, sagt Michael. Mittlerweile ändert sich die Meinung der Bürger von Oregon: 54 Prozent wollen die „Measure 110“ laut einer Umfrage im August ganz aufheben, 64 Prozent wollen sie abändern und restriktiver machen.

Eine, die dem nichts abgewinnen kann, ist Tilda, eine 63 Jahre alte Lehrerin in Portland: „Es braucht noch viel mehr Geld für die Menschen. Nicht nur die Drogensüchtigen, auch jene, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Es braucht mehr Therapeuten, damit Menschen erst gar nicht damit beginnen, Drogen zu nehmen“, sagt sie. Sie verwehrt sich dagegen, in Portland eine „Drogenkrise“ zu sehen. „Das ist eine Gesundheitskrise mit vielen Faktoren.“ Wie aber die ihrer Meinung nach notwendigen Mittel, das Personal und die Einrichtungen geschaffen werden sollen, ohne dass der Großteil der Bevölkerung dagegenstimmt, kann auch sie nicht sagen.

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