US-„Drogen-Zar“ im globalen Drogenkrieg

Dr. Rahul Gupta, Arzt und US-Drogen-Koordinator
Die USA setzen im Kampf gegen Suchtgift auf internationale Zusammenarbeit. Auch mit Österreich. Federführend ist dabei Rahul Gupta, der für Präsident Joe Biden die Zahl der Drogentoten reduzieren soll

235 Menschen starben 2021 in Österreich an einer Überdosis. Ein Rekord. Kurz nachdem die erschreckende Zahl bekannt wurde, tagte vergangene Woche die Suchtgiftkommission der UNO in Wien. Einer, dessen Stimme dort viel Gewicht hat, ist Rahul Gupta. Im Weißen Haus ist er unter US-Präsident Joe Biden für die Drogenpolitik zuständig. Als erster Arzt in dieser Rolle ist es sein Job, die verheerende Opioid-Krise in den USA in den Griff zu bekommen. Die New York Times bezeichnete den 52-Jährigen als „Bidens Drogen-Zar“. Mit dem KURIER sprach er exklusiv über die Lage in seiner Heimat und Parallelen zu Österreich.

KURIER: In den USA ist die Rede von einer Drogen-Epidemie. Wie kam es so weit?

Rahul Gupta: Anfang der 2000er war es in den USA normal, opioidhaltige Schmerzmittel zu verschreiben. Uns Ärzten wurde nicht gesagt, dass diese abhängig machen. Doch sie haben starkes Suchtpotenzial. Als wir reagierten, wichen Menschen auf die Straße aus und besorgten sich Heroin. Auch dagegen sind wir vorgegangen. Daraufhin fingen Drogenhändler an, mit anderen illegalen synthetischen Stoffen noch mehr Geld zu verdienen. Sie öffneten die Büchse der Pandora. Plötzlich brauchte man nur mehr einen Ort so groß wie ein Badezimmer und die Vorstellungskraft eines Chemikers, um die tödlichsten Drogen zu produzieren, die die Welt je gesehen hatte.

In Österreich gibt es einen Höchststand an Drogentoten. Wie sieht es in den USA aus? Synthetische Drogen brachten ab 2015 einen exponentiellen Anstieg. 2021 gab es erstmals mehr als 100.000 Tote in einem Jahr. Wir sehen diesen Trend weltweit. Wir kämpfen alle mit demselben Problem.

Wieso? Schmerzmittel waren in Europa strenger reguliert. Die Ausgangslage war anders, aber der Kern des Problems ist mittlerweile die Profitabilität. Kriminelle stellen sicher, dass sie möglichst viele Konsumenten haben. Gleichzeitig tun wir noch nicht genug, um Suchtkranken zu helfen.

Könnten die vielen Drogentoten auch eine Auswirkung der Corona-Pandemie sein? Die Situation hat sich sicher verschärft. Behandlungen wurden eingestellt. Der Markt für Drogen brach kurzfristig zusammen. Wer davor einen verlässlichen Dealer hatte, musste Drogen plötzlich anders beschaffen. Und dazu kamen Isolation und Existenzängste. Soziale, wirtschaftliche und medizinische Faktoren trafen aufeinander.

Warum verfallen immer mehr junge Menschen der Sucht? Kartelle, die ihren Gewinn maximieren wollen, haben auch diese Gruppe im Visier. Gleichzeitig waren während Corona viele junge Menschen zu Hause. Sie hatten nur ihre Handys, Apps und soziale Medien, die oft weniger reguliert sind als die Straßen. Sie konnten sich quasi alles nach Hause liefern lassen. Wenn die Dealer an der Ecke vor dem Haus stehen, sind wir entsetzt. Aber im Internet fliegen sie unter dem Radar. Viele der dort angebotenen Substanzen sind illegal oder gefälscht und enthalten tödliche Mengen Fentanyl (synthetisches Opioid, Anm.). Manche Folgen der Pandemie bemerken wir zeitversetzt, gerade im Netz braucht es Regulierungen.

Behandelte Suchtkranke sterben in Österreich viel seltener als unbehandelte. Können die USA sich etwas abschauen? Wir beobachten genau, was in Europa oder in Österreich passiert und was wir lernen können. Der Zugang zur Behandlung ist niederschwellig. Menschen bekommen Hilfe, wann und wo sie wollen. Wir möchten das in den USA kopieren. Weniger als zehn Prozent jener, die Behandlung bräuchten, bekommen sie bei uns. Unter Präsident Biden haben wir die Hürden zum Behandlungszugang bereits reduziert.

Wie sieht die Behandlung aus? Wir schenken Süchtigen jetzt mehr Aufmerksamkeit. Zuerst müssen wir Notfallmedikamente, die bei einer Überdosis helfen, für alle zugänglich machen. Außerdem gibt es „Drug-Checking“-Programme. Egal, ob Kokain, Heroin oder Meth, es könnte verunreinigt oder mit Fentanyl gestreckt sein. Das kann man vorher nicht wissen. Nun kann man es unkompliziert herausfinden. Das rettet Leben, und nur Überlebende können wir behandeln. Etwa durch Unterstützung am Weg in ein normales Leben. Also einen Ort zum Wohnen, Essen und einen Job.

Drogenersatztherapien sind in den USA umstritten, warum? 40 Jahre lang haben wir den Menschen gesagt, dass Drogen schlecht und illegal sind. Aber Sucht ist eine Krankheit, wir müssen den Betroffenen helfen und uns auf die Wissenschaft verlassen.

Woher kommen die Drogen? Wie stoppt man die Händler? Die unverarbeiteten Chemikalien kommen größtenteils aus China in Containern nach Mexiko. Dort werden synthetische Drogen hergestellt, die sich dann auf der ganzen Welt verbreiten. Das ist ein globales Problem. Es braucht also Zusammenarbeit. Denn es gibt heute drei Arten von Ländern: Jene, die ein Fentanyl-Problem haben und es wissen. Jene, die es haben und es noch nicht wissen. Und dann gibt es Länder, die es noch nicht haben, aber wahrscheinlich bald. Als USA wollen wir Vorreiter sein und eine Lösung finden, damit es in anderen Ländern, wie Österreich, gar nicht so weit kommt.

Drogen in USA und Österreich

Dr. Rahul Gupta: Der in Indien geborene Mediziner arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Arzt in den USA. Er behandelte unzählige Patienten, die wegen einer Überdosis in der Notaufnahme landeten. Seit 2021 ist er unter  Präsident Joe Biden verantwortlich für die US-Drogenpolitik.

Drogen-Epidemie: 107.000 Drogentote wurden in den USA 2021 gezählt. Alle fünf Minuten erlitt jemand eine tödliche Überdosis. In Österreich starben daran im selben Zeitraum 235 Menschen  – auch das ist ein Rekord. Experten in Österreich bezeichnen die Lage derzeit aber noch als stabil.

Synthetische Stoffe: Substanzen, die ohne natürlichen Ausgangsstoff chemisch im Labor hergestellt werden. Besonders gefährlich ist Fentanyl, ein synthetisches Schmerzmittel, das bei Überdosierung zu Atemstillstand führt. Es wird auch Heroin, Kokain, Meth oder Cannabis beigemischt – mit teils tödlichen Folgen

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