"Könnte sehr hässlich werden": Russen verlegen Tausende Soldaten nach Charkiw
Russische Streitkräfte haben nach Angaben eines führenden Vertreters des US-Verteidigungsministeriums Tausende zusätzliche Soldaten nahe der Grenze zur ukrainischen Stadt Charkiw zusammengezogen. Die Zahl der taktischen Bataillone in der Nähe der russischen Stadt Belgorod sei von 30 auf inzwischen 40 angestiegen, sagte ein ranghoher Beamter am Freitag.
Der Beamte nannte keine genaue Zahl der zusätzlichen Truppen, aber solche Bataillone bestehen typischerweise aus etwa 600 bis 1000 Soldaten. Das russische Militär ziehe seine Kräfte dort zusammen, um seinen Einsatz auf die Eroberung der ostukrainischen Region Donbass zu konzentrieren, sagte er.
Die umkämpfte Metropole Charkiw liegt nahe der russischen Grenze.
Der Sprecher des Pentagons, John Kirby, hatte am Freitag erklärt, die russischen Streitkräfte bemühten sich, ihre Einheiten nach Verlusten im Norden der Ukraine mit neuem Material und Soldaten an der Grenze zum Donbass wieder aufzubauen. Es gebe auch Berichte, wonach die Einheiten, die nun im Osten eingesetzt werden sollten, durch das Mobilisieren "Zehntausender Reservisten" verstärkt werden sollten.
"Das könnte sehr blutig und sehr hässlich werden"
Der leitende Beamte des Ministeriums sagte, es gebe Hinweise, dass die Russen hofften, "mehr als 60.000 Soldaten" zu mobilisieren. Beide Kriegsparteien seien wegen des seit Jahren anhaltenden Konflikts in den Gebieten nahe der russischen Grenze mit der Geografie des Donbass vertraut und seien dort vernetzt. In der Region sei daher mit sehr intensiven Kämpfen zu rechnen, warnte der Beamte. "Das könnte sehr blutig und sehr hässlich werden", sagte er.
Angriffe im Osten
Die Angriffe russischer Einheiten im Donbass in der Ostukraine gehen ukrainischen Angaben zufolge weiter. Die russischen Truppen konzentrierten sich darauf, die Orte Rubischne, Nischne, Popasna und Nowobachmutiwka zu übernehmen und die volle Kontrolle über die Stadt Mariupol zu erlangen, berichtete die Agentur Unian. Auch Odessa und Luhansk stünden unter verstärktem Beschuss. Wie die russische Armee bestätigte, hat es Angriffe in den Gebieten Dnipro und Poltawa gegeben.
Unweit der südostukrainischen Stadt Dnipro sei in der Nacht zum Samstag ein Waffenlager mit Raketen beschossen worden, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministerium, Igor Konaschenkow. In Myrhorod im zentralukrainischen Poltawa richtete sich ein Angriff demnach gegen einen Flugplatz. Von ukrainischer Seite hieß es, dabei seien zwei Menschen verletzt worden. Bei einer ähnlichen Attacke bei Tschornomorsk im südukrainischen Gebiet Odessa gab es laut dem Sprecher des Gebietsgouverneurs, Serhij Brattschuk, hingegen keine Opfer.
Mariupol
Von den Militärexperten des US-Kriegsforschungsinstituts Institute for the Study of War (ISW) hieß es in der Nacht zu Samstag zu Mariupol, dass die ukrainischen Streitkräfte weiter Verteidigungsstellungen im Osten und Südwesten der belagerten Hafenstadt hielten, vor allem beim Stahlwerk Asovstal und im Bereich des Hafens.
Im Bericht des ukrainischen Generalstabs hieß es laut Unian weiter, die Streitkräfte des Landes hätten am Freitag sieben Angriffe russischer Einheiten zurückschlagen können. Auch rund um die von russischen Truppen besetzte Stadt Isjum im Gebiet Charkiw seien Angriffe abgewehrt worden. Im Süden seien erneut Ziele in der Region Odessa vom Territorium der von Russland annektierten Krim aus mit Raketen beschossen worden.
Russen tragen Verantwortung für Angriff auf Kramatorsk
Am Freitag waren nach ukrainischen Angaben bei einem Raketenangriff auf den Bahnhof Kramatorsk im Osten des Landes 52 Menschen getötet und 109 verletzt worden. Dort hatten sich mehrere Tausend Menschen versammelt, die aus Angst vor Kämpfen die Stadt verlassen wollten.
Nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums sind die russischen Streitkräfte für den Angriff verantwortlich. Russlands offizielle Dementis in dieser Sache seien "nicht überzeugend", sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby, am Freitag.
"Unsere Einschätzung ist es, dass das ein russischer Angriff war und dass sie eine ballistische Kurzstreckenrakete genutzt haben, um ihn auszuführen", sagte Kirby. Mit Blick auf die zivilen Opfer sagte er, der Angriff sei erneut ein Beispiel der russischen "Brutalität" und der "Sorglosigkeit" gegenüber der Zivilbevölkerung.
Die Ukraine und Russland gaben sich am Freitag gegenseitig die Schuld für die Attacke. Westliche Politiker und Analysten zeigten sich aber überzeugt, dass es sich um einen russischen Angriff handelte.
Selenskij: Erwarte entschlossene Reaktion auf Kramatorsk
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij erwartet nach dem Angriff auf den Bahnhof eine entschiedene Antwort der internationalen Gemeinschaft. "Wir erwarten eine entschlossene, weltweite Reaktion auf dieses Kriegsverbrechen", sagte Selenskij in seiner täglichen Videobotschaft am Freitagabend.
Selenskij sagte weiter, er schätze die Bereitschaft der Europäischen Union (EU), die notwendige finanzielle und technische Unterstützung bereitzustellen, um russische Verbrechen in der Ukraine zu dokumentieren und zu untersuchen.
Selenskij will auch weiterhin mit Russlands Präsident Wladimir Putin über Frieden verhandeln. Im Interview mit Bild sagt Selenskij, er würde sich zu Verhandlungen auch mit Putin an einen Tisch setzen. Das gelte weiterhin. "Heute hat die Ukraine keinen anderen Ausweg, als sich an den Verhandlungstisch zu setzen. In Russland hat kein anderer Macht, diesen Krieg zu stoppen", ergänzt Selenskij. "Nur er alleine entscheidet, wann dieser Krieg endet.
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