"König Boris": Johnson lässt sich trotz Krise(n) feiern
„Treibstoff- und Nahrungsmittelknappheit“, „Inflationsängste“, „Benzinpreise nahe Rekord“, „Kürzung der Sozialhilfe“: Solche Schlagzeilen im von Brexit und Corona krisengeschüttelten Vereinigten Königreich hatten seit Sonntag immer wieder den Parteitag der Konservativen in Manchester überschattet.
Vor seinen Toren protestierten Schweinebauern gegen den Mangel an Schlachtern und Notkeulungen mit Schildern wie „Lasst Brexit nicht unsere Branche auslöschen!“.
Als Kontrastprogramm zu diesem grauen Alltag bot Premier Boris Johnson in seiner als großes Finale stilisierten Rede am Mittwoch eine riesige Portion Optimismus – oder zumindest Zweckoptimismus –, Anpacker-Mentalität und Pointen.
Sein Auftritt beim ersten physischen Parteitag seit dem 2019 erzielten größten Wahlsieg der Tories seit mehr als 30 Jahren mutete dabei oft wie eine verspätete Siegesrunde an. Auch weil die Labour Partei in Umfragen trotz Versorgungskrise bisher zurück liegt, waren die Tories froh, ihren unangefochtenen „König Boris“ zu feiern, wie ein Kabinettsmitglied ihn gegenüber dem Guardian nannte.
Johnson erntete also in einem extra für die Rede hergerichteten größeren Saal, gefüllt mit masken- und abstands-losen Parteimitgliedern, inklusive Gattin Carrie, immer wieder Jubel und Applaus.
So auch, als er, vor dem Slogan „Besser Wiederaufbauen“ stehend, sein Team dafür lobte, den Brexit und ein erfolgreiches Covid-Impfprogramm gestemmt zu haben. Und als er versprach, mit Hilfe „neuer Brexit-Freiheiten“ das Land zu verbessern.
"Radikaler Konservatismus"
So habe seine Regierung, anders als diverse Vorgänger, „den Mumm“, ein „gescheitertes Wirtschaftsmodell“ mit zu viel Abhängigkeit von Einwanderern zu verändern, sagte Johnson. Hohe Inflation und Engpässe seien nur temporäre Übel am Weg ins Brexit-Paradies voll höherer Löhne, Produktivität und Wachstum sowie niedrigerer Steuern.
„Es gibt keine Alternative“, verwendet Johnson dieser Tage auch einen alten Slogan der konservativen Ikone Margaret Thatcher. Aber mit einer in den kommenden Wochen erwarteten Anhebung der Mindestlöhne und Kritik an Unternehmen fischt er auch im Revier der Labour Opposition.
Kein Wunder, dass seine Rede seinen „radikalen und optimistischen Konservatismus“ als Gegensatz zu der „müden, alten“ Labour Partei anpries, deren Chef Keir Starmer er als „Wetterfahne“ und „Chamäleon“ kritisierte.
Unruhe im Volk
Aber eine neue Umfrage von Savanta ComRes deutet auf Unruhe im Volk hin: nur 36 Prozent der Briten finden, dass der Brexit bisher ein Erfolg ist; 52 Prozent glauben das Gegenteil, inklusive 32 Prozent konservativer Wähler und 26 Prozent derer, die für den EU-Austritt gestimmt hatten.
„Ich war für den Brexit, weil ich nicht wollte, dass die EU alles entscheidet, aber ich habe nicht so viele Probleme erwartet, wie wir sie jetzt haben“, erzählt etwa Kevin dem KURIER. Aber er sieht auch Covid, Unternehmen und britische „Faulheit“ als Mitgründe für die derzeitigen Krisen. „Man kann Boris und die Regierung nicht für alles verantwortlich machen. Wir müssen alle mehr Eigenverantwortung übernehmen“.
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