Klima- und Umweltschutz: Europas Ziele bald unerreichbar
Die Luftqualität und die Qualität der europäischen Gewässer, fließend wie stehend, sind besser geworden.
Das ist allerdings das einzig Positive, mit dem die Europäische Umweltagentur in ihrem neuesten Bericht, der alle fünf Jahre herausgegeben wird, aufwarten kann.
In allen anderen Bereichen unserer unmittelbaren Umwelt gebe es hingegen akuten Handlungsbedarf: von der Artenvielfalt über den Zustand unserer Ökosysteme, vom Zustand unserer Böden, der Belastung des Grundwassers bis hin zur Emission von Treibhausgasen und Chemikalien. Es gehe um nichts weniger als „Herausforderungen beispiellosen Ausmaßes und noch nie da gewesener Dringlichkeit“.
Mehr noch: „Europa wird seine Ziele für 2030 nicht erreichen, wenn es in den nächsten zehn Jahren nicht dringend gebotene Maßnahmen gegen den alarmierenden Rückgang der Artenvielfalt, die zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels und den übermäßigen Verbrauch natürlicher Ressourcen ergreift“, heißt es in dem 500 Seiten starken Bericht.
„Wir stehen vor dringenden Nachhaltigkeitsherausforderungen, die systematische Lösungen erfordern“, erklärt Hans Bruyninckx, der Chef der Europäischen Umweltagentur (EEA), in nicht ganz einfach zu verstehenden Worten.
Diese Dringlichkeit könne nicht genug betont werden, denn allein in den vergangenen 18 Monaten hätten
- der Weltklimarat,
- der Weltbiodiversitätsrat,
- der UN-Ressourcenrat und
- das Umweltprogramm der Vereinten Nationen
wichtige globale wissenschaftliche Berichte veröffentlicht, in denen ähnliche Aussagen getroffen worden seien: Die aktuellen Entwicklungen wären nicht nachhaltig, untereinander gekoppelt und an unser gegenwärtiges System von Produktion und Konsum gebunden. Die Berichte würden außerdem betonen, dass die Zeit zum Finden glaubhafter Lösungen, um diesen Kurs zu ändern, ablaufe.
Lösungen am Tisch
Denn eine nachhaltige Zukunft sei nach wie vor möglich, heißt es weiter.
Genannt und im Detail ausgeführt werden sieben Schlüsselbereiche, in denen „mutige“ Maßnahmen erforderlich seien, „um Europa wieder auf Kurs bringen zu können, seine Ziele und Ambitionen für 2030 und 2050“ erreichen zu können:
- Umweltrecht verschärfen: Eine umfassende Umsetzung der bestehenden Umweltregelungen würde Europa auf dem Weg zu seinen Zielen für das Jahr 2030 wesentlich voranbringen.
- Nachhaltigkeit umsetzen: Zusätzlichen langfristigen, übergeordneten Strategien mit verbindlichen Zielen, zum Beispiel in den Bereichen Ernährung, Chemikalien und Landnutzung, kommt eine zentrale Rolle zu. Solche Stategien ermöglichen kohärente Maßnahmen über unterschiedliche Politikbereiche hinweg und können auch als Orientierung für gesellschaftliche Veränderungen dienen.
- Weltweit Vorreiter sein: Die EU sollte ihren Einfluss auf diplomatischer und wirtschaftlicher Ebene zur Förderung ehrgeiziger internationaler Vereinbarungen in Bereichen wie Biodiversität und Ressourcennutzung geltend machen.
- Neue Denk- und Lebensweisen: Die Änderung des gegenwärtigen Kurses wird stark vom Entstehen und von der Verbreitung verschiedener Arten von Innovationen abhängen, die zu neuen Denk- und Lebensweisen anregen.
- Finanzströme umlenken: Dies erfordert Investitionen in die Zukunft durch die umfassende Nutzung öffentlicher Mittel zur Unterstützung von Innovationen und naturbasierten Lösungen, zur nachhaltigen Beschaffung und zur Unterstützung der betroffenen Branchen und Regionen. Dazu gehört auch die Beteiligung des Finanzsektors an nachhaltigen Investitionen durch Umsetzung des EU-Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen.
- Sozial ausgewogene Politik: Eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation verlangt auch einen angemessenen gesellschaftlichen Umgang mit potenziellen Risiken, Chancen und Zielkonflikten. Die Politik der EU und der Mitgliedstaaten spielt eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung einer sozial verträglichen Transformation.
- Mehr Know-how schaffen: Dazu zählt insbesondere ein besseres Verständnis der umweltbelastenden Systeme, der zur Nachhaltigkeit führenden Lösungsansätze, der vielversprechenden Initiativen und der Hindernisse für einen Wandel. Dies erfordert Investitionen in Bildung und Kompetenzen, die das Zurechtfinden in einer sich rasant verändernden Welt ermöglichen.
Der Zeitpunkt des Erscheinens des neuen Berichts könnte überdies kaum besser sein: Zum einen läuft noch bis Freitag, den 13. Dezember, in Madrid die UN-Klimakonferenz mit allen 196 Partnerstaaten der UN-Klimarahmen-Konvention (UNFCCC).
Zum anderen hat mit Ursula von der Leyen an der Spitze eine neue EU-Kommission ihre Arbeit aufgenommen. Die Kommissionspräsidentin hat sich klar dazu bekannt, sich und alle neuen Kommissare viel stärker als bisher für den Kampf gegen die Klimakrise und für die Umwelt engagieren zu wollen.
Wendejahr 2020
Der Zeitpunkt ist aber auch deshalb gut, weil viele Forscher 2020 für das entscheidende Jahr halten, in dem die Emissionen nachhaltig sinken müssen, um die derzeit jedenfalls drohende Klimakatastrophe abwenden zu können. Aktuell steuert die Welt nach aktuellen Berechnungen der bisher versprochenen Maßnahmen auf eine Erwärmung von deutlich über 3 °C zu.
Und mehr noch sorgt die Ankündigungen von der Leyens samt ihres Vizepräsidenten Frans Timmermans, bis März einen „European Green Deal“ vorzulegen, bei den Experten der EEA für Zuversicht und Hoffnung. „Der European Green Deal erkennt die Dringlichkeit des Handelns in einem Maße an, wie wir es in Europa vorher nicht gesehen haben“, wird Bruyninckx zitiert. Und er ermögliche neue Denkweisen und Innovationen, „um eine Zukunft zu gestalten, auf die wir alle stolz sein können“.
Den ganzen Bericht in englischer Sprache (500 Seiten) finden Sie hier.
Eine kurze Zusammenfassung auf Deutsch gibt es hier.
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