Kinderarbeit in den USA: Nach der Schule gleich aufs Feld
Duvan Tomas Perez hätte niemals so nah an das Fließband der Mar-Jac-Geflügel-Fabrik in Hattiesburg im US-Bundesstaat Mississippi gelangen dürfen. Das Einwanderer-Kind aus Guatemala wurde von der Mechanik erfasst und erlag wenig später seinen Verletzungen. Duvan war 16 Jahre alt.
Will Hampton hätte niemals so nah an den Traktor-Anhänger gelassen werden dürfen, der ihn auf einer Müllhalde in Missouri beinahe zerquetschte. Will war ebenfalls 16 Jahre alt.
Michael Shuls schließlich hätte im Sägewerk "Florence Hardwood" in Wisconsin niemals so nah an dem Transportband arbeiten dürfen, das ihn mit brachialer Gewalt einsog und tötete. Michael, auch er war nicht älter als 16.
Drei Fälle aus dem Jahr 2023 in Amerika, das aus Sicht der für Sicherheit zuständigen Experten im Arbeitsministerium in Washington zu den tödlichsten zählt, wenn es um den fahrlässigen Einsatz von Minderjährigen in gefährlichen Branchen geht.
Offene Stellen
Der Grund ist im urkapitalistischen Prinzip von Angebot und Nachfrage zu suchen. Laut Arbeitsministerium gibt es derzeit rund 9,5 Millionen offene Stellen in den USA. Aber nur 6,5 Millionen Amerikaner sind offiziell arbeitslos gemeldet.
Viele Firmen, vor allem in Sektoren, in denen zu oft dürftigen Löhnen körperlich hart gearbeitet wird, finden kaum mehr geeignete Mitarbeiter. Darum griffen viele auf Kinderarbeit zurück. Dabei werden, wie offizielle Zahlen der Aufsichtsbehörden belegen, regelmäßig Vorschriften und Arbeitsschutzgesetze missachtet.
Fast 6.000 Verstöße, rund 50 Prozent mehr als im Vorjahr, registrierte das Arbeitsministerium allein bis Ende September. Weil die Bußgelder mit maximal rund 15.000 Dollar vergleichsweise gering sind, klagen Gewerkschaften, "hält sich die abschreckende Wirkung in Grenzen". Erste Politiker in Washington fordern bereits eine Verzehnfachung der Strafen.
Dabei ist schon die Ausgangslage umstritten. In den USA dürfen Kinder oft bereits ab 14 Jahren arbeiten. Bis sie 16 sind, ist aber nur eine begrenzte Zahl an Arbeitsstunden erlaubt – damit der Schulbesuch nicht leidet. Spätschichten und Nachtarbeit sind tabu. Außerdem untersagen seit 85 Jahren ("Fair Labor Standards Act" von 1938) landesweit geltende Gesetze die Einstellung von Unter-18-Jährigen in Branchen mit hohem Gesundheitsrisiko. Dazu zählen etwa Schlachthäuser und Sägewerke, aber auch Dachdecker und Gerüstbauer.
Das Fastfood-Gastro-Gewerbe ist einer der Hotspots der illegalen Kinderarbeit. Regelmäßig fallen Franchise-Nehmer des Milliarden-Konzerns McDonald’s auf, berichten US-Medien. In Canberra Township im US-Bundesstaat Pennsylvania wurden unlängst fünf Besitzer zu Geldstrafen verurteilt. Sie hatten insgesamt 34 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 15 Jahren weit über das gesetzliche Stunden-Limit beschäftigt. Die Strafen summierten sich auf 26.000 Dollar.
Die Gefährdetsten
Besonders gefährdet ist nach Untersuchungen der Regierung eine Klientel, die es ohnehin enorm schwer hat: Unbegleitete geflüchtete Kinder und Jugendliche aus Latein-Amerika, die es durch das Nadelöhr an der amerikanisch-mexikanischen Grenze geschafft haben. Das Gros kommt mit hohen Schulden in den Vereinigten Staaten an, die von den Schleusern, die sie ins Land gebracht haben, unbarmherzig eingetrieben werden.
Im Einzelfall, berichtet eine Expertin des Heimatschutzministeriums in Washington gegenüber dem KURIER, "werden da Summen von 8.000 Dollar und mehr pro Person fällig".
Solche Kinder und Teenager, 2021 und 2022 waren es insgesamt 250.000 unbegleitete Grenzgänger, "sind extrem leichte Beute für prekäre Arbeitsverhältnisse". Etwa in der Fleisch verarbeitenden Industrie.
Dort gab es zuletzt Fälle illegaler Kinderarbeit. So kam heraus, dass die Reinigungsfirma "Packers Sanitation Services" (PSSI) in 13 Schlachthäusern und Fleischfabriken in acht US-Bundesstaaten von Nebraska über Minnesota bis Kansas und Alabama mehr als 100 Kinder mit lateinamerikanischem Flüchtlingshintergrund angeheuert hatte; die Jüngsten waren erst 13 Jahre alt.
Die juvenilen Arbeitstrupps wurden nicht selten für die unangenehme und gefährliche Arbeit auf den sogenannten "Kill Floors" eingesetzt. Dort müssen jede Nacht Blut, Fett und Eingeweide der getöteten Schweine oder Rinder mühsam abgekratzt werden. In einem Schlachthaus des in Brasilien ansässigen globalen Fleisch-Riesen JBS in Grand Rapids fiel dieser Missbrauch dadurch auf, dass die Flüchtlingskinder tagsüber im Schulunterricht eingeschlafen waren – sie hatten nachtsüber gearbeitet.
Sie ist weltweit verboten und geächtet – und doch sind rund 160 Millionen Kinder und Jugendliche davon betroffen. Die meisten Kinder müssen in den Ländern in Subsahara-Afrika arbeiten – dort ist weltweit auch die Armut am größten. Das Gros der Kinderarbeit findet in der Landwirtschaft statt. In den vergangenen drei Jahren haben zehn Bundesstaaten den Schutz für junge Arbeitskräfte geschwächt. Im Vorjahr wurden sieben Gesetzentwürfe zum Abbau des Kinderarbeitsschutzes vorgeschlagen – etwa die Beschränkungen für gefährliche Arbeiten zu lockern.
Arbeiten bis 21 Uhr
Die Erwartung, dass solche Missstände zu einer radikalen Neubewertung und Reduzierung von Kinderarbeit führen würde, wird in den USA jedoch enttäuscht. Andersherum: Um dem oben genannten Arbeitskräfte-Mangel zu begegnen, haben ein gutes Dutzend Bundesstaaten die Regeln für Kinderarbeit weiter gelockert.
Im konservativen Bauern-Bundesstaat Iowa dürfen Jugendliche während der Schulmonate bis zu sechs Stunden pro Tag arbeiten und das bis 21 Uhr.
Die republikanische Gouverneurin Kim Reynolds hat zudem per Unterschrift grünes Licht für ein Gesetz gegeben, das von Arbeitsrechtlern scharf kritisiert wird. Danach dürfen 14-Jährige in Kühlhäusern, 15-Jährige am Fließband und 16-Jährige im Dachdecker-Handwerk arbeiten.
Ähnlich bizarr mutet an, dass im Neu-England-Bundesstaat New Hampshire bereits 14-jährige Kellner Bourbon servieren dürfen; während im normalen Leben für Unter-21-Jährige Alkohol völlig tabu ist.
Keine Altersprüfung
In Minnesota dürfen bald bereits 16-Jährige auf Groß-Baustellen anpacken. In Arkansas, wo die frühere Sprecherin von Ex-Präsident Donald Trump, Sarah Huckabee Sanders, Gouverneurin ist, müssen Unter-16-Jährige künftig keine Genehmigung der Erziehungsberechtigten oder des regionalen Arbeitsamtes mehr vorweisen, bevor sie einen Job antreten.
Firmen sind zudem davon befreit, bei Heranwachsenden das genaue Alter zu überprüfen. Das schützt sie vor Regressforderungen.
Auf dem Washingtoner Politik-Parkett tun sich einige republikanische Abgeordnete damit hervor, die Arbeitszeit für 14-Jährige in der Zeit zwischen 7 und 21 Uhr auf 24 Wochenstunden auszudehnen. "Teen Act" heißt der entsprechende Gesetzesentwurf, der auf Druck von Arbeitgebern zustande gekommen ist, die vor leer gefegten regionalen Arbeitsmärkten stehen.
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