Kim Yo-jong: Nordkoreas kommunistische Kronprinzessin
Sie ist das Auge, das Ohr und die scharfe Zunge ihres großen Bruders – Kim Yo-jong, die mächtigste Frau Nordkoreas. Je wildere Gerüchte sich um die Abwesenheit von Machthaber Kim Jong-Un ranken, umso mehr rückt die 32-jährige ins Licht der Aufmerksamkeit.
Könnte sie die Macht im abgeschottetsten Land der Welt übernehmen, wenn ihr Bruder stirbt? In der einzigen kommunistischen Dynastie der Welt ist die Enkelin von Staatsgründer Kim Il-sung schließlich so etwas wie die Kronprinzessin.
Wer ist die schmale junge Frau, die ihrem übergewichtigen, vier Jahre älterem Bruder optisch so gar nicht ähnelt? Ideologisch ist sie jedenfalls kein Leichtgewicht – im Gegenteil. Kim Yo-jong spielt seit Jahren in der obersten Liga der autoritären Politik Nordkoreas mit. Die USA nehmen sie so ernst, dass Washington sie neben sechs anderen nordkoreanischen Spitzenfunktionen unter Sanktionen stellte.
Die Image-Pflegerin
Als Vize-Chefin der Propagadabteilung der allein herrschenden Arbeiterpartei managt Kim Yo-jong die öffentlichen Auftritte, das Image und den Personenkult um ihren großen Bruder: Machthaber Kim Jong-Un auf einem Schimmel reitend; Kim Jong-Un, wie er eine Fischfabrik besucht und den Arbeitern erklärt, wie sie den Fisch noch besser trocknen können. Kim Jong-Un, wie er einen Raketentest beklatscht.
Kein Nordkoreaner würde es wagen, über diese Bilder zu schmunzeln. Strafe, Gefängnis, sogar Arbeitslager wären jedem sicher, der auch nur einen Hauch Zweifel am Regime oder Kim Jong-un üben würde.
Rüde Verbalattacken
Auch auf Kritik von außen antwortet Kim Yo-jong äußerst grob: Eine „inkohärente und idiotische Art zu denken“ etwa warf sie Anfang März dem südkoreanischen Präsidialamt vor, nachdem dieses den jüngsten nordkoreanischen Raketentest kritisiert hatte.
Mit rüden Verbalattacken scheint sich die junge Frau auch im innersten Kreis der Macht Feinde geschaffen zu haben. „Es ist bekannt, dass es da oft zu Spannungen kommt, wegen ihrer Persönlichkeit und wegen ihrer Art, angeblich alles besser zu wissen“, schildert Lee Yoon-keol, ein nordkoreanischer Überläufer, der heute ein Informationsservice in Südkorea leitet. „Sie gilt als herablassend, arrogant und vulgär.“
Ihr großer Bruder aber steht felsenfest hinter der machtbewussten Schwester: Sie ist eine seiner engsten Vertrauten, absolut loyal und darauf erpicht, ihn zu unterstützen, ohne ihn ausstechen zu wollen.
Schon ihr 2011 verstorbener Vater, der „liebe Führer Kim Jong-il“ hatte das politische Talent seiner Tochter erkannt. Sie galt als sein Lieblingskind. Doch eine Frau zur Nachfolgerin zu küren, das war in der männerdominierten Welt Nordkoreas bisher vollkommen undenkbar.
Vor zwei Jahren schilderte eine in die USA geflüchtete Tante des heute herrschenden Kim Jong-un der New York Times: An seinem achten Geburtstag wurde der schon damals dickliche Bub in eine Generalsuniform gesteckt. Echte Generäle hatten sich vor ihm zu verbeugen. Damit stand fest: Der jüngste Sohn von Kim Jong-Il würde nach dessen Tod über Nordkorea herrschen. Aber seine intelligente Schwester würde ihm zur Seite stehen.
Schule in der Schweiz
Zusammen mit ihrem ältesten Bruder verbrachten die beiden Geschwister vier Schuljahre im schweizerischen Bern. Unter falschen Namen und streng behütet lebten sie das Leben Kinder reicher Eltern – inklusive Ausflüge nach Disneyland.
Mit 13 Jahren kehrte das Mädchen zurück nach Nordkorea, später soll sie Teile ihres Studiums in Paris absolviert haben. Englisch und Französisch beherrscht Kim Yo-jong perfekt, bei allen wichtigen diplomatischen Fäden Nordkoreas zieht sie heute mit. Bei den zwei Treffen ihres Bruder mit US-Präsident Trump war sie mit dabei. Mehr noch: Sie war es, die Kim Jong-Un die Füllfeder reichte und die Zigarettenstummel des Kettenrauchers einsammelte: Keine Spur von DNA des nordkoreanischen Machthabers sollte irgendjemand in die Hände fallen.
Ermordeter Halbbruder
Vor zwei Jahren beförderte Kim Jong-Un sie ins Politbüro – das mächtige Gremium innerhalb des Zentralkomitees der Arbeiterpartei. Zwischenzeitlich war sie dort aus unbekannten Gründen verschwunden. Doch seit Kurzem ist Kim Yo-jong wieder da – und mächtiger denn je.
Sie dürfte auch eine Lektion gelernt haben: Wer sich in Nordkorea zu viel herausnimmt, bezahlt dies mitunter mit dem Leben. So geschah es ihrem Onkel Jang Song-thaek. Den ließ ihr großer Bruder 2013 kurzerhand wegen Verrats hinrichten, nachdem er sich offenbar zu viel Macht angemaßt hatte. Weitere hunderte Spitzenfunktionäre sind verschwunden.
Wenig besser erging es Halbbruder Kim Jong-nam. Höchstwahrscheinlich im Auftrag des Diktators wurde er vor drei Jahren am Flughafen von Kuala Lumpur vergiftet. Ambitionen auf die Macht soll er nie geäußert haben. Dennoch waren so alle Familienmitglieder ausgeschaltet, die mit der Führung liebäugeln hätten können. Kim Yo-jongs ältester Bruder, der 39-jährige Kim Jong-chol, spielt in der Familienpolitik keine Rolle. Er wird nicht als Konkurrenz wahrgenommen. Und die drei Kinder des 36-jähirgen Diktators Kim Jong-un sind noch viel zu jung, um in der Familienpolitik mit dabei zu sein.
Kein Führungsteam ohne Kim
Bleibt also nur die ehrgeizige jüngere Schwester, sollte Kim Jong-Un unerwartet früh sterben. Als Frau allein aber, so bezweifeln es Nordkorea-Kenner, wird es die junge Mutter eines Kindes in der männerdominierten Welt Nordkoreas nie und nimmer schaffen. Sie mag die genetische Reserve des Kim-Regimes sein. Doch ohne Unterstützung von Partei und Armee wird sich Kim Yo-jong im streng patriarchalisch und konfuzianisch geprägten Nordkorea nicht durchsetzen.
Und so machen Gerüchte von einer Führungsgruppe die Runde. Ein technokratisches Kollektiv könnte an die Spitze kommen, zusammen mit dem Premier und dem nominellen Staatsoberhaupt Choe Ryong-hae. Aber ihr Name wäre dabei ein zentraler: Kim Yo-jong – denn Politik ist im kommunistischen Nordkorea noch immer Familiensache. Der vierte Kim in der kommunistischen Erbmonarchie könnte also eine Frau werden. Ein freundlicheres Antlitz hätte die Diktatur deshalb noch lange nicht.
Die Kim-Dynastie:
Seit ihrer Gründung vor 72 Jahren wurde die „Demokratische Volksrepublik Nordkorea“ durchgehend von einer Familie regiert. Kim Jong-un (36) ist der Enkel von Staatsgründer Kim Il-sung. Nordkorea ist ein Militärstaat mit stark nationalistischer Ausrichtung. Der Kommunismus wurde schon 2009 aus der Verfassung gestrichen. Kein politisches System auf der Welt gilt als härter und restriktiver als jenes des hermetisch verschossenen Nordkoreas.
Sechs Atomtests hat Nordkorea bisher durchgeführt. Das Land steht wegen seiner Atompolitik unter UN-Sanktionen
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