Nach Flugzeugabsturz: Ukrainischer Geheimdienst nimmt Ermittlungen auf

Nach Flugzeugabsturz: Ukrainischer Geheimdienst nimmt Ermittlungen auf
In der russischen Grenzregion Belgorod ist ein Flugzeug abgestürzt. An Bord sollen sich ukrainische Kriegsgefangene befunden haben.

Nach dem Absturz eines russischen Militärflugzeugs mit 65 ukrainischen Kriegsgefangenen an Bord hat der ukrainische Geheimdienst SBU Ermittlungen eingeleitet. Der SBU habe "eine strafrechtliche Untersuchung des Abschusses eines IL-76-Flugzeugs der russischen Luftwaffe in der Region Belgorod eingeleitet", hieß es in einer Erklärung des Geheimdiensts am Donnerstag.

Der SBU "ergreife derzeit eine Reihe von Maßnahmen, um alle Umstände des Absturzes aufzuklären". Die Ermittlungen erfolgten gemäß Artikel 438 des ukrainischen Strafgesetzbuches zur Verletzung der Kriegsgesetze, hieß es laut SBU weiter.

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Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij eine internationale Aufklärung gefordert.

Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR versuche derzeit mehr über das Schicksal der Dutzenden ukrainischen Kriegsgefangenen zu erfahren, die laut Moskauer Angaben an Bord der Maschine gewesen sein sollen, sagte Selenskij in seiner abendlichen Ansprache am Mittwoch.

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Er habe zudem den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba angewiesen, ausländische Partner mit allen Informationen zu versorgen, die der Ukraine zur Verfügung stünden. "Unser Staat wird auf eine internationale Aufklärung bestehen", betonte er. 

Selenskij sagte außerdem: "Es ist offensichtlich, dass die Russen mit dem Leben von ukrainischen Gefangenen, mit den Gefühlen ihrer Angehörigen und mit den Emotionen unserer Gesellschaft spielen."

In der westrussischen Region Belgorod war am Mittag eine Maschine vom Typ Iljuschin Il-76 abgestürzt. Russischen Angaben zufolge wurden dabei alle 74 Insassen an Bord getötet- darunter 65 ukrainische Kriegsgefangene. Unabhängige Angaben dazu, wen oder was das Flugzeug transportierte, gibt es aber weiterhin nicht. 

Die ukrainische Seite bestätigte nur, dass ein Gefangenenaustausch geplant gewesen, dann aber geplatzt sei. Die Ukraine wirft Russland vor, nicht Bescheid gegeben zu haben, dass der Belgoroder Luftraum im Zuge des Gefangenenaustauschs besonders hätte geschützt werden müssen.

Keine voreiligen Schlüsse ziehen

Die Sicherheitsexpertin Claudia Major warnte wiederum vor voreiligen Schlüssen. Es seien derzeit zwei Fakten bekannt, sagte die Leiterin der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin". "Das Flugzeug ist abgeschossen worden. Und es war ein Gefangenenaustausch geplant, der nicht stattgefunden hat." Dies seien derzeit "die einzigen verlässlichen Informationen". 

Alles andere wie etwa Listen zum Gefangenenaustausch seien bisher "Spekulation". Daher sei auch die Forderung Selenskyjs nach einer internationalen Untersuchung zur genauen Absturzursache richtig.

 Russische Behörden veröffentlichten am Donnerstag die Namen des getöteten Piloten und weiterer fünf Besatzungsmitglieder. "Das ist für alle ein nicht wieder gutzumachender Verlust. Unser Beileid gilt den Familien und Freunden der Helden", hieß es aus der Region Orenburg. Selenskyj sagte eine für Donnerstag geplante Reise innerhalb der Ukraine ab und bat, auf feierliche Gratulationen zu seinem 46. Geburtstag am heutigen Tag zu verzichten.

Angaben können nicht unabhängig geprüft werden

Experten des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) in Washington teilten mit, dass weder die russischen noch die ukrainischen Angaben zum Flugzeugcrash unabhängig überprüft werden könnten. Nach ISW-Angaben instrumentalisiert die russische Führung den Vorfall, um in der ukrainischen Gesellschaft Misstrauen zu säen gegen die Regierung in Kiew. Besonders die Frage des Austausches von Kriegsgefangenen gelte für Ukrainer und Russen gleichermaßen als sensibles Thema, das Emotionen auslöse. Zudem wollten russische Funktionäre mit unbewiesenen Behauptungen, dass die Ukraine für den mutmaßlichen Abschuss deutsche oder US-Raketen eingesetzt habe, die militärische Unterstützung des Westens für das Land schwächen.

Kreml-Sprecher: "Absolut ungeheuerlicher Akt"

Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warnte am Donnerstag vor den Folgen des Absturzes. Dieser sei "ein absolut ungeheuerlicher Akt". "Niemand kann Ihnen sagen, welche Auswirkungen dies auf die Aussichten für eine Verlängerung des Prozesses" des Gefangenenaustausches haben werde, sagte Peskow laut staatlichen Nachrichtenagenturen.

Unterdessen sagte der Duma-Abgeordnete Andrej Kartapolow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge, dass der Gefangenenaustausch weitergehe. Russland werde "sogar mit dem Teufel" reden, um seine gefangenen Soldaten zurückzubringen, so Kartapolow.

Ukraine bestätigt Austausch

Nach dem Absturz des Militärtransportflugzeugs hat die Ukraine bestätigt, dass für Mittwoch eigentlich ein Austausch von Kriegsgefangenen geplant gewesen war. "Heute hätte ein Gefangenenaustausch stattfinden sollen, der nicht stattfand", teilte der ukrainische Militärgeheimdienst HUR am frühen Abend mit.

Die Version aus Moskau, wonach die ukrainischen Gefangenen an Bord der abgestürzten russischen Maschine saßen und nun tot sind, bestätigte Kiew nicht. Stattdessen hieß es in der Mitteilung: "Derzeit haben wir keine verlässliche und umfassende Information darüber, wer genau und wie viele sich an Bord des Flugzeugs befanden."

Die Ukraine habe ihrerseits alle Vereinbarungen eingehalten und die russischen Soldaten pünktlich zum Austauschort gebracht, teilte der Geheimdienst mit. Weiter hieß es: "Gemäß der Vereinbarung musste die russische Seite die Sicherheit unserer Verteidiger gewährleisten. Zugleich wurde die ukrainische Seite nicht über die Notwendigkeit informiert, die Sicherheit des Luftraums im Gebiet um die Stadt Belgorod in einem bestimmten Zeitraum zu gewährleisten, so wie das in der Vergangenheit mehrfach getan wurde."

Dass die ukrainische Seite dieses Mal nicht über die genauen russischen Transportmittel in Kenntnis gesetzt worden sei, "könnte auf vorsätzliche Maßnahmen Russlands hinweisen, die darauf abzielen, das Leben und die Sicherheit von Gefangenen zu gefährden", schrieb die ukrainische Behörde. Staatliche russische Medien werteten die Mitteilung als indirekte Bestätigung dafür, dass die Ukrainer das Flugzeug mit ihren eigenen Soldaten an Bord abgeschossen hätten. Offiziell gibt es eine solche Bestätigung aus Kiew allerdings nicht.

Das russische Verteidigungsministerium hatte am Mittwoch zu Mittag den Absturz einer Maschine vom Typ Iljuschin Il-76 im Gebiet Belgorod gemeldet und angegeben, alle 74 Insassen an Bord seien ums Leben gekommen - darunter 65 ukrainische Kriegsgefangene. Unabhängige Angaben dazu, wen oder was das Flugzeug transportierte, gibt es aber weiterhin nicht.

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