Einen Grund hat der ehemalige Regionalpräsident, der im Oktober 2017 nach einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum die Sezession der spanischen Region ankündigte, selbst mehrfach genannt: Mit seinem Schritt wolle er die "Korruption" und die "Bunker-Mentalität" der spanischen Justiz offenlegen. Der Hintergrund: Die katalanischen Separatisten haben eigentlich eine weitreichende Amnestie mit der in Madrid regierenden Linkskoalition ausgehandelt. Doch das Oberste spanische Gericht will diese für Puigdemont bisher nicht gelten lassen. Der Separatistenführer habe sich persönlich bereichert, in dem er mit öffentlichen Geldern ein Referendum finanzierte, das er auch aus seiner eigenen Tasche hätte finanzieren können. Eine gewagte Argumentation, die Carles Puigdemont nun als Steilvorlage zum großen Showdown dient.
Bruderzwist
Der andere Grund: Mit seinem Überraschungsauftritt und einer möglichen Verhaftung wollte Puigdemont, der bei den Katalonienwahlen im Mai selbst kandidierte und seine Partei zur zweitstärksten Fraktion machte, die Investitur des Sozialisten Illa, der sich klar gegen eine Abspaltung Kataloniens stellt, zum Regionalpräsidenten torpedieren – und vor allem deren Unterstützer diskreditieren. Denn neben den linksalternativen Comuns haben auch die separatistischen katalanischen Linksrepublikaner der ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) Salvador Illa ihre Stimmen zugesichert. ERC tritt, wie Puigdemonts Formation Junts, für die Unabhängigkeit Kataloniens ein.
Doch beiden Parteien pflegen eine erbitterte Feindschaft. Während die ERC auf Verhandlungen mit der spanischen Regierung setzt, sucht die Junts-Partei weiter die Konfrontation und droht immer wieder die Unterstützung für die Linkskoalition in Madrid platzen zu lassen. Doch für die Animositäten gibt es auch persönliche Gründe: Im hitzigen Oktober 2017 waren es die Linksrepublikaner um den damaligen Vizepräsidenten Oriol Junqueras, die Puigdemont nach dem illegalen Referendum dazu drängten, die Unabhängigkeit auszurufen. Dabei war schon damals klar, dass eine Republik Kataloniens mangels internationaler Unterstützung und eines konkreten Plans eine politische Totgeburt war. Das hat Puigdemont seinem Ex-Vize nie verziehen. Junqueras dagegen trägt Puigdemont bis heute nach, dass dieser sich im Herbst 2017 klammheimlich mit einem Teil der Führungsriege ins Ausland absetzte, während er selbst und ein großer Teil des Kabinetts wegen Aufruhr zu Haftstrafen bis zu 13 Jahren verurteilt wurden.
Im Frühsommer 2021 wurden die inhaftierten Politiker begnadigt. In der Folgezeit ermöglichte die komplizierte Arithmetik des spanischen Parlaments den katalanischen Separatisten der spanischen Linkskoalition weitere Zugeständnisse abzuringen: Das Strafrecht wurde reformiert, das Amnestiegesetz erlassen, zuletzt eine Steuerhoheit für die wohlhabende Region im Nordosten in Aussicht gestellt. Die Unterstützung für die Idee eines unabhängigen Kataloniens ist seitdem auf ein historisches Tief gesunken. Nach Daten des katalanischen Meinungsforschungsinstituts CEO würden bei einem Referendum nur noch 40 Prozent der Katalanen für die Unabhängigkeit – und 53 Prozent dagegen stimmen. Der Bruderzwist ist seitdem zuvorderst ein Dauerspektakel für die eigene Wählerschaft.
Haftstrafe offen
Das weiß man auch in Madrid. Die spanische Regierung schweigt zum katalanischen Drama. Für ihre Zugeständnisse an die Katalanen hat Premier Pedro Sánchez heftige Kritik von der konservativen Opposition und den rechtspopulistischen Parteien einstecken müssen. Zugleich braucht seine in Minderheit regierende Linkskoalition weiter die Unterstützung der Separatisten. Parteinahme verbietet sich also gleich doppelt. Zwar wird die Junts-Partei es sich nicht nehmen lassen, mit den Bildern des verhafteten Puigdemont hausieren zu gehen und maximalen Druck auf Madrid auszuüben. Doch an einem Regierungssturz ist ihr wenig gelegen. Bei Neuwahlen gewönnen voraussichtlich die Konservativen, die einen harten Kurs gegen die Separatisten befürworten.
Wie lange Carles Puigdemont – sobald er gefasst wird – in Haft bleibt, ist noch offen. Doch viele spanische Juristen gehen davon aus, dass früher oder später auch für Puigdemont die Amnestie greift. Der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung bleiben die dramatischen Bilder von heute.
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