"Kalter Krieg" im Nahen Osten: Riad gegen Teheran

Links die iranische Marionette, rechts die saudische, in der Mitte: der Jemen.
Iran und Saudi-Arabien führen Stellvertreterkriege in mehreren Staaten der Region. Ziel: die Vormachtstellung im Nahen Osten. Die diplomatischen Beziehungen wurden abgebrochen.

Nach der Hinrichtung des prominenten schiitischen Klerikers Nimr al-Nimr, eines lauten Kritikers des saudi-arabischen Regimes, scheint eine Annäherung zwischen Riad und Teheran – die sich Ende des vergangenen Jahres zumindest ansatzweise angedeutet hatte – wieder äußerst unrealistisch. Saudi-Arabien brach am Sonntag die diplomatischen Beziehungen zum Iran ab. Anlass sei die Erstürmung der saudi-arabischen Botschaft in Teheran am Vortag, teilte die Regierung in Riad mit.

Saudi-Arabien gab Sonntagabend bekannt, seine diplomatischen Beziehungen zum Iran abzubrechen. Die diplomatische Vertretung des Iran und alle mit ihr verbundenen Einrichtungen seien aufgefordert worden, Saudi-Arabien innerhalb von 48 Stunden zu verlassen, teilte das Außenministerium mit.

Dabei wäre ein stabiles Verhältnis so wichtig gewesen, um etwa im Syrien-Krieg zu einer Lösung zu finden. Der Westen ist besorgt, dass die Spannungen zwischen dem schiitischen Iran und dem wahhabitisch-sunnitischen Saudi-Arabien nun weiter angeheizt werden könnten.

Kampf um Vormacht

Die beiden Regionalmächte kämpfen um die Vormachtstellung im Nahen Osten – und schrecken vor Gewalt nicht zurück. Während beide Regime Proteste im Inneren im Keim zu ersticken versuchen – beide Staaten setzen auf schwere Strafen und Hinrichtungen – unterstützen die Regime und reiche Eliten sunnitische oder schiitische Aufständische in anderen Staaten der Region.

Nahost-Experte Guido Steinberg bezeichnet das als "regionalen Kalten Krieg". Dieser manifestiert sich an mehreren Brandherden in der Region.

"Kalter Krieg" im Nahen Osten: Riad gegen Teheran

Syrien

In dem seit März 2011 laufenden Bürgerkrieg in Syrien haben beide Staaten ihre Finger im Spiel. Zunächst unterstützte Saudi-Arabien sunnitische Aufständische, die sich gegen das Regime von Bashar al-Assad stellten, mit Waffen.

Der syrische Präsident, der gegen Demonstranten des "Arabischen Frühlings" mit scharfer Munition vorgehen ließ, wird seinerseits von iranischen Bodentruppen gestärkt. Die Herrscherelite zählt sich zu den Alawiten, einer Abspaltung der Schiiten. Militärische Hilfe kommt auch von der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah.

Im November schien eine Annäherung zwischen Riad und Teheran möglich, als Vertreter beider Staaten bei den Syrien-Gesprächen in Wien an einem Tisch saßen. Am 25. Jänner sollen in Genf die Gespräche weitergehen. Die Ereignisse der vergangenen Tage werden die Suche nach einer Lösung erschweren.

Jemen

"Kalter Krieg" im Nahen Osten: Riad gegen Teheran
Yemeni workers inspect the damage at a Coca-Cola factory after it was reportedly destroyed by Saudi-led airstrikes in the capital Sanaa on December 30, 2015. The Arab coalition is backing forces loyal to Yemeni President Abedrabbo Mansour Hadi's internationally recognised government with air strikes, ground troops, and weaponry, in addition to training. AFP PHOTO / MOHAMMED HUWAIS
Nachdem im Zuge des "Arabischen Frühlings" Präsident Ali Abdullah Saleh 2011 gestürzt worden war, sah die lange unterdrückte schiitische Minderheit der Huthi ihre Chance. Militärisch unterstützt durch den Iran schafften Huthi-Rebellen vom Norden des Landes aus den Vormarsch bis an die Südküste und vertrieben den mittlerweile eingesetzten Interimspräsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi. Dieser rief Riad zu Hilfe.

Seit März fliegt eine von Saudi-Arabien angeführte Allianz aus mehreren sunnitischen Staaten Luftangriffe im Jemen. Vielfach kritisiert, unter anderem von Amnesty International, weil ein Großteil der Opfer Zivilisten sind. Ziel Riads ist einerseits die Wiedereinsetzung des Sunniten Hadi als Präsidenten, andererseits versucht das Regime zu verhindern, dass der Iran an der Seite der Huthi im Jemen an Macht gewinnt.

Irak

In dem mehrheitlich schiitischen Land wurde nach dem Sturz des sunnitischen Diktators Saddam Hussein ein schiitisches Regime eingesetzt. Während Saddam Hussein von Saudi-Arabien unterstützt wurde, genießt das aktuelle Regime Rückendeckung der Iraner. Auch im Kampf gegen die sunnitische Terrormiliz IS. Diese ist gleichzeitig auch für Saudi-Arabien ein Feind. Riad versucht daher, im Rahmen der US-geführten Militärallianz, den IS im Irak zu bekämpfen – auch, um zu bewirken, dass der Iran nicht zu viel Einfluss im Irak gewinnt.

Bahrain

Hamad bin Isa Al Chalifa, der Herrscher des durch eine 25 Kilometer lange Brücke mit Saudi-Arabien verbundenen Königreichs Bahrain ist Sunnit, während die Bevölkerung mehrheitlich schiitisch ist. Im Zuge des "Arabischen Frühlings" kam es 2011 auch hier zu Protesten gegen das Königshaus – die nach einem Einmarsch der saudischen Armee niedergeschlagen wurden. Riad fürchtete eine Ausweitung der Proteste auf seine eigene schiitische Minderheit im Osten Saudi-Arabiens. Der Einmarsch wurde heftig kritisiert.

"Kalter Krieg" im Nahen Osten: Riad gegen Teheran
Flames rise from Saudi Arabia's embassy during a demonstration in Tehran January 2, 2016. Iranian protesters stormed the Saudi Embassy in Tehran early on Sunday morning as Shi'ite Muslim Iran reacted with fury to Saudi Arabia's execution of a prominent Shi'ite cleric. REUTERS/TIMA/Mehdi Ghasemi/ISNA ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. REUTERS IS UNABLE TO INDEPENDENTLY VERIFY THE AUTHENTICITY, CONTENT, LOCATION OR DATE OF THIS IMAGE. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. NO THIRD PARTY SALES. NOT FOR USE BY REUTERS THIRD PARTY DISTRIBUTORS. THIS PICTURE IS DISTRIBUTED EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS TPX IMAGES OF THE DAY
Eine Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien, wie es sich der Westen – vor allem wegen der Syrien-Gespräche – erhofft hatte, ist in weite Ferne gerückt. In der Nacht auf Sonntag brannte die saudi-arabische Botschaft in Teheran, auch das Konsulat in der zweitgrößten iranischen Stadt, Mashhad, stand in Flammen. Am Sonntag demonstrierte die studentische Bassij-Miliz vor der saudi-arabischen Botschaft in Teheran. Am Abend gab Saudi-Arabien bekannt, seine diplomatische Beziehungen zum Iran abzubrechen. Das Königreich zog daraufhin seine Diplomaten ab. Sie trafen am Sonntag in Dubai ein, wie der FernsehsenderAl-Arabiya meldete.

Der Iran erklärte umgehend, kein saudi-arabischer Diplomat sei zu Schaden gekommen und das Land sei eines der sichersten der Region. Die Entscheidung Riads, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen sei "voreilig", erklärte Vize-Außenminister Hossein Amir-Abdollahian in der Nacht zum Montag. Allerdings sei die Exekution des Predigers Nimr al-Nimr ein großer Fehler gewesen. Ein Vertreter der US-Regierung forderte die rivalisierenden Länder auf, entschlossene Schritte zur Beruhigung der Lage einzuleiten.

„Zweifellos wird das zu Unrecht geflossene Blut dieses Märtyrers Folgen haben. Die saudischen Führer werden die Rache Gottes spüren“, hatte der oberste geistliche Führer im Iran, Ayatollah Ali Khamenei zuvor gedroht.

Schüsse in Geburtsstadt von exekutiertem Geistlichen

In der saudi-arabischen Geburtsstadt des hingerichteten Nimr Baker al-Nimr ist die Polizei mit Schüssen attackiert worden. Bei der Schießerei sind ein Zivilist getötet und ein Kind verletzt worden. Wie die amtliche Nachrichtenagentur SPA am Montag unter Berufung auf die örtliche Polizei berichtete, kamen die Beamten in der Stadt Awamiya im ölreichen Osten des Landes am späten Sonntagabend unter "schweren" Beschuss. Dem Bericht zufolge gab es unter den Polizisten keine Opfer. Wer die Schüsse abfeuerte, war zunächst unklar. In sozialen Netzwerken wurde der getötete Zivilist als "Märtyrer" gefeiert. Einige Internetnutzer gaben an, er sei von saudi-arabischen Sicherheitskräften getötet worden. Das wurde von unabhängiger Seite zunächst nicht bestätigt. Der Nachrichtenagentur SPA zufolge wurden Ermittlungen eingeleitet, die Sicherheitskräfte fahndeten demnach intensiv nach den Verantwortlichen der "terroristischen" Aktionen.

Kritik an Hinrichtung

Schiiten in aller Welt kritisierten die Hinrichtung des Klerikers in Saudi-Arabien. Er galt als einer der größten Regimekritiker.
Auf der Website Khameneis war ein Bild zu sehen, auf dem ein saudischer Henker in weißem Gewand mit dem schwarz gekleideten IS-Henker „Jihadi John“ verglichen wird. Mit der Unterzeile „Irgendwelche Unterschiede?“

Doch in Sachen Hinrichtungen steht der Iran seinem Erzfeind in nichts nach. Ganz im Gegenteil: Im vergangenen Jahr soll das Regime in Teheran mehr als 600 Menschen hingerichtet haben (289 Hinrichtungen sind bestätigt, mehr als 450 weitere werden von Amnesty International vermutet). Riad exekutierte 2015 knapp 160 Todesurteile.

Kritik weltweit

Nicht nur Schiiten in der Region, auch Politiker im Westen verurteilten die Exekution. Die EU rief zu Versöhnung sowie zu Meinungsfreiheit und Respekt der Grundrechte in Saudi-Arabien auf. UN-Chef Ban Ki-moon forderte den Abbau der Spannungen, die USA pochen auf faire und transparente Gerichtsverfahren von Riad. Auch Außenminister Sebastian Kurz hat in kurzen Telefonaten mit seinen Amtskollegen in Riad und Teheran zur Deeskalation aufgerufen. „In dieser von Konflikten geprägten Region wäre eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Iran und Saudi-Arabien das Letzte, das wir momentan brauchen“, sagte Kurz.

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