Kalte Mediendusche nach Kurz‘ EU-Impfstoff-Poker
Österreich erhält 198.815 Extra-Dosen von zehn Millionen vorgezogenen Biontech/Pfizer-Dosen. So weit so undramatisch.
Der Verteilung dieser Extra-Dosen war ein heftiger Streit vorausgegangen, in dem sich Österreich auf dem Brüsseler Parkett nicht besonders viele Freunde gemacht hat. Sebastian Kurz hat eine Gruppe von Staaten angeführt, die sich in der Verteilung ungerecht behandelt fühlten und sich einen größeren Anteil wünschten. Doch was Österreich betrifft, wollte in Brüssel kaum jemand einen Ausgleichsbedarf erkennen. Das Bestreben des Bundeskanzlers erhielt eine Abfuhr. Österreich erhält genau so viel, wie ursprünglich vorgesehen.
Das Urteil der internationalen Presse war dann doch sehr kritisch. Der Tenor: Sebastian Kurz hat in Brüssel gepokert – und verloren.
Der österreichische Kanzler hat mit seinem "Basar"-Sager einen Streit um die Impfstoffverteilung vom Zaun gebrochen. Damit hat er sich in der EU-Hauptstadt nicht viele Freunde gemacht. "Wien hat den Streit verloren, hat Wohlwollen und Freunde mit seinen Kapriolen verloren", kommentierte etwa ein EU-Diplomat gegenüber der in Brüssel gut vernetzten Financial Times.
Insbesondere die Berichte, dass Österreich als Druckmittel Impflieferungen an ärmere Länder blockieren wollte, sollen in Brüssel für Unmut gesorgt haben. Die Sprecher von Sebastian Kurz hatten die Meldung allerdings als "Ente" bezeichnet.
Der Spiegel aber will einen "Blockadeversuch" des Kanzlers erkannt haben. Und dieser sei "gescheitert", so das Urteil.
Ähnlich sieht man es in der Redaktion des deutschen Handelsblatts. "Kurz scheitert mit Blockadepolitik" heißt es dort.
Eine "Abfuhr" für Österreich nennt es Politico.
Österreich, Slowenien und Tschechien werden von der EU von der Verteilung von Extra-Dosen "ausgeschlossen", schreibt die Financial Times.
Solidarität
Der Hintergrund: Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft wollte die 27 EU-Staaten bei der Verteilung der zehn Millionen vom dritten ins zweite Quartal vorgezogenen Impfdosen zu einem "Solidaritätsmechanismus" bewegen, um die Distribution fairer zu gestalten. Mehrere Regierungschefs, darunter Sebastian Kurz, hatten die EU-Kommission zuvor darauf aufmerksam gemacht, dass die Verteilung manche Mitglieder benachteilige.
Doch zur Solidarität konnten am Donnerstagabend dann offenbar nur 19 EU-Staaten bewegt werden. Österreich, Slowenien und Tschechien lehnten die Vorschläge ab. Österreich wohl auch deshalb, weil statt der rund 200.000 nach Bevölkerungsschlüssel veranschlagten Dosen in der portugiesischen Rechnung nicht mehr für Österreich, sondern sogar weniger (nur noch knapp 140.000 Dosen) herausgeschaut hätten. Kanzler Kurz hatte sich offiziell 400.000 Dosen erhofft, in den Verhandlungen verlangte er laut EU-Kreisen noch weit mehr.
2,85 Millionen Biontech/Pfizer-Dosen von den zehn Millionen gehen jetzt an fünf benachteiligte Länder: Estland, Lettland, Kroatien, die Slowakei und Bulgarien. Die 19 anderen EU-Staaten verzichten auf Tausende Impfdosen. Deutschland etwa auf rund eine halbe Million.
Der Spiegel zitiert dabei einen EU-Diplomaten, der enttäuscht ist, dass Österreich, Slowenien und Tschechien sich nicht angeschlossen haben. "Das ist völlig unverständlich, da insbesondere Österreich und Tschechien noch vor Kurzem von der EU-Solidarität profitiert und jeweils 100.000 Impfdosen zusätzlich erhalten haben."
Opposition schließt sich an
Der internationalen Kritik schlossen sich auch die heimischen Oppositionsparteien SPÖ und Neos an. Der stellvertretende SPÖ-Klubvorsitzende Jörg Leichtfried sieht ein "schweres Versagen von Kurz am EU-Parkett". Das Ergebnis dieses "völlig undiplomatischen Vorgehens" sei, so Leichtfried in einer Aussendung: "Österreich bekommt keine einzige Dose mehr als vorgesehen." Der Kanzler habe das Land "ins internationale Abseits" gestellt.
Ähnlich sieht es die Europaabgeordnete der Neos, Claudia Gamon: "Wir haben uns vollkommen ins Aus manövriert. Bravo!", schrieb die NEOS-Europaabgeordnete Claudia Gamon am Freitag auf "Twitter" und:
"Allianzen werden schwieriger"
Für den Politologen Peter Filzmaier geht die Debatte in eine falsche Richtung. Die eigentliche Frage sei, ob Österreich bei der Bestellung etwas falsch oder zu spät gemacht habe. Auch Kurz müsse sich diesbezüglich fragen, ob er nicht früher davon wissen hätte müssen, sagt Filzmaier am Freitag in einem APA-Interview.
Kurz hatte wegen der Causa einen Rückzug des Spitzenbeamten für den Impfstoff-Bestellvorgang, Clemens Martin Auer, erwirkt. In diesem Zusammenhang war bekannt geworden, dass Österreich sein Kontingent des Impfstoffs von Johnson & Johnson nicht ausgeschöpft hat, das ab Mitte April geliefert werden soll.
Filzmaier kann sich vorstellen, dass der Streit für Österreich ein langfristiges Problem auf dem EU-Parkett darstellen könnte. "Die EU als komplexes Gebilde lebt ja von Allianzen." Österreich, das lange in der EU unterrepräsentiert gewesen sei, habe dann versucht bei den "Sparsamen Vier" (Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland) dabei zu sein, "aber das endet jetzt auch wieder". Auf inhaltlicher Ebene werde es nunmehr für Österreich schwieriger werden, Allianzen zu finden, meint Filzmaier.
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