Seiltänzer
Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Aber Trotzlachen, wo es nichts zu lachen gibt? Nach der Flucht im eigenen Land auch noch die Flucht aus der Realität? Die bietet Satire ja an, indem sie die Realität verzerrt und sie in Frage stellt, auch wenn keiner Antworten hat.
Israels Satiriker sind in diesem Hamas-Krieg Seiltänzer zwischen Hirn und Herz. Krankenhaus-Clowns, auf einem weiten Arbeitsfeld mit engen Grenzen. Wie eben Mariano Idelman, der in der Show „Eretz Nehederet“, auf deutsch „Wunderbares Land“, in bester Saturday-Night-Live-Manier Netanjahu nicht ungeschoren davonkommen lässt, auch jetzt. Das Publikum liebt es.
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Nonsense-Humor
Auch abseits der TV-Bildschirme übt man sich im Lachen. So hat jemand Sprechchöre ausrastender Fußball-Fans verballhornt, um das Steuer rumzureißen, den Kampfgeist hochzubringen: „Wir über-ausflippen und umkehren sie besser.“ Auch auf Hebräisch klingt das merkwürdig, doch auf Spruchbändern und Graffitis ist der Slogan nicht mehr zu übersehen, im Netz wurde er zum Hashtag. Nonsense-Humor, aber nicht sinnlos.
Die Mainstream-Medien setzen sich inzwischen dem Vorwurf aus, für Satire sei es noch zu früh. Dabei geht ihre Erfahrung mit Satire im Krieg noch in die Zeit vor dem Internet zurück. Seit 1978 gibt es „Das ist es“, vier alte weiße Männer stehen da heute vor der Kamera. Das Team konnte schon im Irak-Krieg und in Corona-Zeiten lernen, wie eine Nation im Schutzraum satirisch unterhalten werden kann. „Alle Nachbarn beschießen uns mit Raketen“, stöhnt da einer der gelangweilten Rentner auf der Parkbank. Alle schweigen bedrückt. Bis der links von außen „Zypern“ sagt – und sich vorwurfsvollen Blicken aussetzt.
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Muss die nach innen gerichtete, ätzende Satire „bis nach dem Krieg um halb sechs“ warten, wie schon Soldat Schwejk ironisch sagte, richtet sie sich halt nach außen. Antisemitismus aus dem Ausland war schon immer ein nicht gerade beliebtes, aber dankbares Thema jüdischer Satire. Im Nachrichten-Studio „Wunderbares Land“ wird er deshalb unter Beschuss genommen, etwa mit einem Video über die BBC, das im Vereinigten Königreich noch populärer war als in Israel.
Verbreitet haben die Sendung dort vor allem die Printmedien, die es der hochnäsigen „alten Tante“ BBC mal zeigen wollten. Zu sehen ist eine leidende BBC-Moderatorin, die das Wort „Hamas“ nicht in einem Atemzug mit „Terroristen“ aussprechen kann. Das Englische hat zwar Vokale, aber noch mehr Synonyme: Kämpfer, Freiheitsliebhaber, Milizangehörige, Haudegen, Streiter … alles ist die Hamas, nur keine TRRRSTN.
Gespalten und vereint
Artet der gelebte Alltag in gelebte Satire aus, gibt es keine Satiriker mehr, sondern nur noch Protokollführer. Das soll Israels wohl bekanntester Satiriker Ephraim Kishon einmal gesagt haben.
In Israel stehen die Protokollführer auf einem segellosen Boot ohne Kapitän. Sie müssen irgendwie mitsteuern, soll heißen: mitkämpfen. Nicht gegen die da oben, sondern ums Überleben.
Mit dabei sind alle, so gespalten das Land auch sein mag. Selbst das wird aufs Korn genommen: Wie in dem Satire-Video, in dem die nerdige Feldwebelin mit Brille und Nahkampfausbildung, gelangweilt die Namen der Reservisten zur Abfahrt an die Front vorliest. Ein Abbild aller Splitter, in die Israel nach 16 Jahren Netanjahu gespalten ist: „Bibiisten, Verräter, Anarchisten, Messianisten, Dolch-in-Rücken-Stößer, Demokratie-Zerstörer, Araber-Handlanger … wo bleiben die Rassisten? Die 5. Kolonne, die Kollaborateure?“
Alle sind vereint in der Satire. Und im Kampf.
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