Begrabene Wahrheit
Bis jetzt weiß man jedoch nicht, wer wirklich verantwortlich war. Unklar ist auch, ob der Beschuss tatsächlich so viele Opfer gefordert hat, wie die Hamas sagt. Israel hält die Zahl für absichtlich übertrieben, stellt tags darauf Material zur Verfügung, dass die eigene Schuldlosigkeit untermauern soll. Bilder vom Krater, der viel kleiner sei als alles, was eine israelische Raketen hinterlassen würde. Oder ein abgefangenes Gespräch zwischen zwei Dschihadisten, in denen der eine fragt, ob die Rakete die eigene sei. „Sieht so aus“, sagt der andere.
Ob das Gespräch echt ist, kann man bezweifeln, in diesem Konflikt hat niemand die Wahrheit gepachtet. Nur: Auch auf Fotos von Journalisten im Gazastreifen ist der Krater klein, und auf aktuellen Satellitenbildern ist zu sehen, dass die Gebäude des Spitals allesamt intakt sind. Laut Experten kann es tatsächlich sein, dass eine fehlgeleitete Rakete der Dschihadisten niedergegangen ist, schließlich verfehlt etwa ein Drittel der Geschosse aus dem Gazastreifen ihr Ziel. Andererseits berichtet ein BBC-Reporter vor Ort, dass noch immer Leichen gezählt würden. Man habe auch verifizierte Fotos der Körper zeigen, so die BBC.
Es ist gut möglich, dass nie herauskommt, was tatsächlich passiert ist. Das hat zum einen mit dem Mangel an Informationen zu tun: In den Gazastreifen kommt man als Reporter derzeit gar nicht, und schon vor dem Krieg musste man eine Gebühr entrichten und wurde überwacht. Lokale Journalisten, die westliche Medienhäusern aus Mangel an Alternativen beauftragen, sind schwierige Quellen, denn sie stehen unter Druck. Wer anderes erzählt als die Hamas, wird von ihr bedroht.
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Ein Viertel ist gefälscht
Der zweite Grund für Informationslücken sind bewusste Falschinformationen, die sich teils wie Lauffeuer verbreiten. Westliche Medien stehen wirtschaftlich unter Druck , haben oft keine Experten mehr vor Ort. Mediennutzer verlassen sich darum auf vermeintlich vertrauenswürdige Social-Media-Accounts, die oft gefälscht sind: Auf X (Ex-Twitter) verbreiten etwa angebliche BBC-Reporter Informationen mit Schlagseite, auch eine Jerusalem Post gibt es auf X, die mit dem Original nichts zu tun hat.
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Ein Viertel der Accounts, die über den Gazakrieg berichten, verbreitet absichtlich Falschmeldungen, schätzen Monitoring-Agenturen. Verbreitet sind sie vor allem von TikTok und auf Elons Musks Dienst X. Die BBC, Reuters oder Associated Press beschäftigen darum mittlerweile Factchecking-Teams, die Open Source Intelligence (OSINT) betreiben, also mittels öffentlich zugänglichen Fakten wie Geodaten, Radarbildern, Videos Vorfälle einschätzen und Fehlinformationen aufdecken. Sie berichteten aber in den letzten Tagen von einer „Überschwemmung“ von Fake News – und sind gewissermaßen machtlos.
Für diese Schwemme sorgt auch X-Chef Musk selbst – nicht nur, weil er Moderation und Factchecking bei seinem Dienst quasi abgeschafft hat. Er empfahl auf seinem Account kürzlich auch zwei Profile, die gute Einschätzungen zum Krieg geben sollen. Nur: Beide sind für Falschmeldungen bekannt – und einer sogar für deutliche antisemitische Tendenzen.
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