Warum kein Nachbarland Gaza-Flüchtlinge aufnimmt

"Hypothetisch“, nur ein „Konzeptpapier“ nennt Israels Premier Benjamin Netanjahu den Plan. Im Gazastreifen sorgt die Botschaft aber für Angst: Laut einem geleakten Plan des Geheimdienst-Ministeriums überlegt Israel, die 2,3 Millionen Palästinenser aus dem Gazastreifen in den nördlichen Sinai in Ägypten umzusiedeln, zunächst in Zeltsiedlungen, später in dauerhafte Städte.
Was steckt hinter dieser Ankündigung? Der KURIER beantwortet die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was soll eine Umsiedelung bringen? Und ist sie überhaupt denkbar?
Die offizielle Begründung lautet, dass man so die Zivilbevölkerung im Gazastreifen vor den israelischen Bombardements schützen könnte – eine Million ist seit Kriegsbeginn in den Süden der Enklave geflohen, die Lebensbedingungen sind mehr als prekär. Ein Hintergedanke dürfte aber sein, dass so eine israelische Besetzung des Gazastreifens möglich wird – diese Angst formulieren auch die arabischen Staaten ringsum.
Dort spricht man deshalb von einer „zweiten Nakba“. Was ist das?
Der Begriff, übersetzt Katastrophe, stammt aus dem Gründungsjahr Israels 1948. Damals erklärten fünf arabische Staaten Israel den Krieg, 700.000 Palästinenser wurden vertrieben.
Das Trauma ist bis heute ein zentrales Narrativ der Palästinenserbewegung. Radikale Siedler und rechte Politiker in Israel heizen das bewusst an, als Rache für den Terror der Hamas mit 1400 Toten. Im Westjordanland werden Flyer auf palästinensische Autos geklemmt, auf denen mit einer „großen Nakba“ gedroht wird.

Dennoch hält Ägypten die Grenze zum Gazastreifen geschlossen, Jordanien will keine Flüchtlinge aufnehmen. Wieso?
Ägyptens Präsident Al-Sisi, der selbst autoritär regiert, steckt in einer Zwickmühle. Seine Bevölkerung sieht das Land als Schutzmacht der Palästinenser, aber ein Massenexodus würde das Land in wirtschaftliche Schieflage bringen. Viele der Menschen im Gazastreifen sind jung, schlecht ausgebildet und auf Jobsuche, und die Arbeitslosigkeit in Ägypten ist jetzt schon ein Problem.
Zudem treibt Al-Sisi die Angst vor importiertem Terror um. Die Hamas ist eine Tochterorganisation der radikalislamistischen Muslimbrüder, die bis 2013 in Ägypten herrschten – und die Al-Sisi blutig wegputschte und danach verbot. Der Sinai, wo die Ansiedlungen stattfinden sollten, ist bis heute Rückzugsort für Dschihadisten, die Lage höchst instabil.
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In Jordanien ist die Situation ähnlich. Das Land hat mit 2,4 Millionen Menschen die größte palästinensische Diaspora, und während die Bevölkerung Solidarität mit Gaza einfordert, hält König Abdullah II. die Grenzen dicht – eine Aufnahme neuer Flüchtlinge wäre eine „rote Linie“, sagt er. Sein Argument: Damit würde die „Sache der Palästinenser“, also die Gründung eines eigenen Staates, sterben.
Wie wahrscheinlich ist eine große Umsiedlung?
Die Chance darauf scheint nicht groß. Israels Premier Netanjahu hat zwar über den Umweg der EU versucht hat, Kairo zur Aufnahme der Palästinenser zu bewegen. Doch der Druck aus Brüssel dürfte nicht allzu groß sein: Aus Kairo hieß es nur, Israel solle die Palästinenser doch bis zum Ende der Bodenoffensive in der Negev-Wüste ansiedeln – also auf eigenem Territorium.
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