Santos: "Frieden durch Wohlstand sichern"

Kolumbianischer Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos.
Kolumbiens Präsident zum FARC-Abkommen, den EU-Beziehungen und "Diktatur" Venezuala.

Der kolumbianische Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos kommt morgen, Freitag, zu einem Staatsbesuch nach Österreich. Er wird von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit militärischen Ehren empfangen. Dem KURIER gab er als einzigem österreichischen Medium vorab ein Interview.

KURIER: Herr Präsident, was ist das Ziel Ihres Besuches?Juan Manuel Santos: Die guten Beziehungen, auch die wirtschaftlichen, weiter zu vertiefen. Die Investitionen Österreichs in Kolumbien haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Ich lade Österreich ein, nach Kolumbien zu kommen und dort weiter zu investieren.

Wie sollen die Beziehungen verbessert werden?

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren noch nie so gut wie jetzt. Mit Bundespräsident Heinz Fischer gab es den ersten offiziellen Staatsbesuch, in der Folge hat Österreich seine Botschaft in Bogotá wieder eröffnet. Österreich hat uns nicht nur beim Friedensprozess unterstützt, sondern auch bei der Schengen-Visabefreiung für Kolumbien und bei unserem Anliegen, Mitglied der OECD zu werden. Es gibt auch ein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen beiden Ländern.

Was macht Österreich interessant für Kolumbien?

Da gibt es einiges: Österreich ist weltweit ein wichtiges touristisches Ziel. Kolumbien will den Tourismus ausbauen, und wir können dabei sehr viel von Österreich lernen. Österreich ist auch ein Vorbild punkto Bio-Landwirtschaft. Außerdem kann uns Österreich viel bei Bildung, Wissenschaft, und Technologie bieten.

Was kann Kolumbien dem EU-Land Österreich anbieten?

Kolumbien gehört zu den Ländern mit den höchsten Wachstumsraten in Lateinamerika. Unser Markt ist stark. Wir haben die Armut verringert und die Mittelklasse konsolidiert. Mit dem Friedensabkommen öffnet sich die Möglichkeit, Projekte im Agrarsektor und im Tourismus zu entwickeln, vor allem auch in jenen Regionen, zu denen es wegen der Konflikte bislang keinen Zugang gab. Bei Biodiversität, die es bei uns gibt, und in Sachen Biotechnologie könnten wir mit österreichischen Universitäten und Forschungseinrichtungen kooperieren.

Wie stark sind die Beziehungen zwischen Kolumbien und der Europäischen Union?

Sehr stark. Seit 2013 gibt es ein Freihandelsabkommen zwischen Kolumbien und der EU. Europa ist unser zweitstärkster Handelspartner, die meisten ausländischen Direktinvestitionen kommen aus der EU. Die engen Beziehungen zeigen sich auch darin, dass wir seit 2015 vom Schengen-Visa-System befreit sind. Die EU hat uns bei Fragen der Entwicklung, bei Menschenrechten und der Implementierung des Friedensprozesses sehr geholfen.

Ihr Land ist an Ressourcen und Bodenschätzen sehr reich und Energie-autark. Über Jahrzehnte gab es Konflikte zwischen der Guerilla, dem Militär und paramilitärischen Gruppen. Sie haben für den Friedensschluss mit der FARC den Friedensnobelpreis bekommen. Ist der Frieden gesichert?

Das FARC-Abkommen war fundamental, um den Frieden in Kolumbien wieder herzustellen. Das Abkommen bringt Stabilität, die wir seit Jahrzehnten nicht hatten, vor allem in Regionen, die vom Konflikt besonders betroffen waren. 2017 war die Mordrate die niedrigste in den vergangenen 42 Jahren. Wir sind uns bewusst, dass der Frieden nur durch mehr Wohlstand für alle abgesichert werden kann und Regionen, die am meisten unter dem Konflikt gelitten haben, befriedet sind. In diesen Regionen fördern wir Infrastruktur-, Bildungs- und Gesundheitsprojekte. Gleichzeitig reduzierten wir die Armut wie nie zuvor. Es gibt aber noch sehr viel zu tun.

Herr Präsident, was haben Sie konkret gemacht, um die Armut zu beseitigen?

Armutsbekämpfung ist eine der Prioritäten der Regierung. Im Fokus stehen Familien: Wir stellten zuletzt armen Familien 130.000 Gratis-Wohnungen zur Verfügung und förderten den Bau von 700.000 Wohnungen. Für Kinder unter sechs Jahren gibt es einen Gratis-Kindergarten. Mit vielen neuen Jobs konnten 5,1 Millionen Menschen der absoluten Armut entkommen. Insgesamt wurde Armut um die Hälfte reduziert.

Sie haben kürzlich die Verhandlungen mit der Guerillabewegung ELN gestoppt. Wird es mit der ELN noch ein Abkommen in Ihrer Amtszeit geben?

Die Verhandlungen sind nicht suspendiert. Um die Verhandlungen fortzusetzen, muss es einen Waffenstillstand geben. Leider ist die ELN auf diese Bedingung nicht eingegangen und hat ihre Angriffe fortgeführt. Ich habe dem Verhandlungsteam den Auftrag gegeben, darauf zu insistieren, dass es zu einem Waffenstillstand kommt, der es erlaubt, den Dialog fortzuführen.

Wie wollen Sie den Frieden nachhaltig sichern?

Das Abkommen mit der FARC ist irreversibel und es ist die Basis für einen dauerhaften, stabilen Frieden. Das soll auch mit der ELN erreicht werden. Es braucht Taten und den Willen für einen Frieden von beiden Seiten. Der Friede ist für die kolumbianische Gesellschaft und für mich das Wichtigste.

Wie sehr ist Kolumbien von der Krise in Venezuela berührt?

Wir sind sehr besorgt, was die Venezolaner derzeit durchleben. Venezuela hat sich in eine Diktatur verwandelt, es gibt eine beispiellose ökonomische, soziale und humanitäre Krise. Kolumbien ist das Land, das am stärksten von dieser Krise betroffen ist. Wir haben Nahrungsmittel- und Medikamentenhilfe angeboten, die Hilfe wurde von der venezolanischen Regierung zurückgewiesen. Wir haben auch Hilfe angeboten, demokratisch die Krise zu überwinden.

Gibt es eine Willkommenskultur für venezolanische Flüchtlinge in Kolumbien?

Das venezolanische Volk hat unsere ganze Solidarität und Unterstützung. Wir haben einen humanitären Hilfsplan für Migranten. Und wir lehnen den geringsten Ausbruch von Fremdenfeindlichkeit ab, der leider in dieser Situation erzeugt wird.

Die EU hat immer eine Faszination auf Lateinamerika ausgeübt. Sind Sie für die Vereinigten Staaten von Lateinamerika?

Die regionale Integration ist ein Imperativ. Kolumbien, Mexiko, Peru und Chile wollen die regionale Integration vorantreiben und zu einem Erfolg machen. Die Allianz dieser Pazifikländer entspricht unseren Werten und Visionen. Das ist ein Modell der wirtschaftlichen und sozialen Integration, die auch die Rechte der Bürger garantiert. Nicht die Vereinigten Staaten, sondern das Modell der EU-Integration ist unser Bezugspunkt.

Zur Person: Unternehmer, Journalist, Politiker, Friedensnobelpreisträger

Familie: Santos wird 1951 in eine einflussreiche Familie in Bogotá geboren. Sein Großonkel war Präsident und Inhaber der größten kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo.

Karriere: Er studiert Wirtschaft, Jus, Journalismus und Diplomatie in Harvard, an der London School of Economics und der Fletcher School of Law and Diplomacy (alles mit Abschluss). Er leitete Kolumbiens Kaffee-Delegation bei der Internationalen Kaffee-Organisation in London. Manager bei El Tiempo und Kolumnist.

Politik: 2006 Verteidigungsminister; seit 2010 Präsident. Friedensnobelpreis 2016.

Politische Konflikte: 1948–1952 Bürgerkrieg zwischen Konservativen und Liberalen. Die Gewalt setzte sich vor allem in ländlichen Gebieten fort („La Violencia“). 1964: Gründung der Guerillagruppen FARC und ELN. Seit 1983 Drogenkrieg und Gründung paramilitärischer Einheiten. Zahlreiche Politiker werden ermordet oder gefangengenommen,z.B. Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Opfer der Gewalt: 218.000 Tote zwischen 1958 und 2012 (80 Prozent Zivilisten). 2016 Friedensschluss mit der FARC.

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