Johnson legt Parlament lahm und eröffnet Rechtskrieg um Brexit

Premier Boris Johnson beim Antrittsbesuch bei der Queen: Jetzt wurde er bei der Monarchin vorstellig, um das Parlament zu beurlauben
Der Premier schickt das Unterhaus auf Urlaub – um den No-Deal-Brexit durchzudrücken, fürchten Abgeordnete.

Der Premier schickt das Unterhaus auf Urlaub – um den No-Deal-Brexit durchzudrücken, fürchten Abgeordnete. Und wollen mit allen Mitteln kämpfen. Dass er mit lauter Stimme auch einem Regierungschef Paroli bietet, hat John Bercow in den vergangenen Monaten oft bewiesen. Doch jetzt erklärt der Vorsitzende des britischen Parlaments Boris Johnson offen den Krieg. Anlass ist der jüngste Coup des britischen Premiers. Der wurde am Mittwoch bei Queen Elizabeth in ihrem Sommersitz im schottischen Balmoral vorstellig und beantragte eine Beurlaubung des Parlaments.

Ein Schritt, der in dieser Form seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gesetzt worden war. Für Bercow ein „verfassungsrechtliches Verbrechen“ mit einer einzigen „gut getarnten“ Absicht: „Das Parlament zu hindern, den Brexit zu debattieren.“

Zu spät für Gegenwehr

Durch Johnsons Antrag, dem Queen Elizabeth II. erwartungsgemäß stattgab, bleiben dem Parlament nur wenige Tage, um den für 31. Oktober angesetzten EU-Austritt zu diskutieren. Das Unterhaus tritt am Dienstag der kommenden Woche zum ersten Mal nach der Sommerpause zusammen. Eine knappe Woche drauf ist schon wieder Schluss, weil dann die alljährlichen Konferenzen der britischen Parlamentsparteien beginnen – und da hat das Parlament traditionell Pause.

Diese Pause wird nun durch den Antrag des Premiers bis zum 14. Oktober verlängert. An diesem Tag eröffnet die Queen mit ihrer Rede vor den Abgeordneten die Herbst-Periode des Parlaments. Dann aber ist es für jeden Versuch, den Brexit Ende Oktober noch zu stoppen, endgültig zu spät. Die Fristenläufe im Londoner Unterhaus, in Brüssel und die Tatsache, dass der letzte EU-Gipfel vor dem Brexit-Termin ebenfalls Mitte Oktober stattfindet, machen es unmöglich, doch noch die Notbremse zu ziehen.

„Kriegserklärung“

Premier Johnson beteuert zwar, dass er dem Parlament ausreichend Möglichkeit geben werde, um den Brexit zu diskutieren, und dass er nicht daran denke, sich über die Abgeordneten hinwegzusetzen, doch die Opposition und die Pro-Europäer in der eigenen Partei glauben ihm kein Wort. Vertreter der Liberaldemokraten etwa sprechen von einer „Kriegserklärung gegen das Parlament und die Demokratie“.

Eine „durchsichtige Ausrede“ nennt die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon Johnsons Rechtfertigung. Ihre Partei, die SNP, zählt zu den vehementesten Gegnern des Brexit im Unterhaus: „Es geht nur darum, die Möglichkeiten des Parlaments einzuschränken, einen No-Deal-Brexit noch zu verhindern.“

Die SNP, aber auch Abgeordnete anderer Parteien versuchen nun, Johnson mit Hilfe der Gerichte zu stoppen. Die britische Gesetzeslage lässt Klagen vor Zivilgerichten gegen politische Entscheidungen zu. Schon am Mittwoch wurden Eilanträge gestellt, die – so der Plan – schon nächste Woche zu einem Urteilsspruch führen sollen. Die Beurlaubung des Parlaments könnte so wieder aufgehoben werden.

Nur eine der vielen Winkelzüge, die der von jahrhundertealten und oft widersprüchlichen Regelungen geprägte britische Parlamentarismus zulässt. Dass sich der mit zahlreichen Vollmachten ausgestattete Parlamentspräsident Bercow klar gegen Johnson gestellt hat, lässt für kommende Woche im Unterhaus einiges an Überraschungen erwarten.

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