Streitfall Abtreibung
Anders sieht es bei einer Sache aus, die wie ein Schatten über der Visite hängt und Sprengstoff auch für das Verhältnis zwischen Vatikan und der US-Kirche birgt: Der seit Baptistenprediger Jimmy Carter wohl gläubigste US-Präsident, der selten ohne Rosenkranz angetroffen wird und kaum eine Sonntagsmesse versäumt, gilt in der zerstrittenen US-Amtskirche einigen als so unkatholisch, dass man ihm die Kommunion verweigern möchte. So jedenfalls hat es der erzfundamentale Teil der Bischofskonferenz aufs Tapet gebracht.
Begründung: Biden befürworte "gewisse Politiken, die moralisches Übel fördern". Gemeint ist der Spagat, den der 78-Jährige beim gerade wieder frisch auf die Tagesordnung des Obersten Gerichts geratenen Dauerbrenner Schwangerschaftsabbruch hinlegt. Persönlich ist Biden gegen Abtreibung. Als Politiker und Präsident jedoch steht er fest hinter dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Und damit hinter dem landesweit Gültigkeit besitzenden Grundsatzurteil von 1973, das Abtreibung legal macht. Mit Spannung wird erwartet, wie der Papst und sein ihm freundschaftlich verbundener Staatsgast die heikle Angelegenheit heute intonieren.
Unter US-Spitzenpolitikern ist Joe Biden der unangefochtene Routinier im Vatikan – und erst der zweite katholische US-Präsident nach John F. Kennedy.
Biden war gerade einmal 37 Jahre alt, als ihn Papst Johannes Paul II. 1980 in Rom empfing. Karol Woityla wollte den jungen Senator aus Delaware, der gerade eloquent darüber nachgedacht hatte, was aus Polen werden könnte, bräche die Sowjetunion auseinander, persönlich kennenlernen und nahm sich gegen alle Gepflogenheiten fast eine Stunde Zeit.
2011 holte sich Biden beim deutschen Papst Benedikt XVI. etwas ab, was er eine "Lehrstunde in Theologie" nannte. Biden bewunderte den Intellekt des Bayern, warm wurde er anders als mit Jorge Mario Kardinal Bergoglio nicht. Biden, damals Vizepräsident, vertrat die USA 2013 bei der Inthronisierung des Argentiniers. Zwei Jahre später leistet das Kirchenoberhaupt Biden und dessen Familie außerordentlichen seelischen Beistand, nachdem Beau Biden, der älteste Sohn, den Folgen eines Gehirntumors erlegen war.
Nicht Rom-hörig
Trotz seiner Nähe zum ersten Mann im Vatikan hat Biden nie den Fischerring des Papstes geküsst. Die Respektbezeugung, die als Ausdruck von Rom-Hörigkeit gilt, war Biden schon in Elternhauszeiten ausgeredet worden. Tenor seiner Mutter: Niemand ist besser als Du, Joey.
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