Die Optik für Joe Biden ist nicht gut. Weite Teile Amerikas sind wegen Corona zum Stubenhocken verurteilt. Darum haben die Demokraten in 16 Bundesstaaten ihre für April und Mai terminisierten Vorwahlen für die Präsidentschaftskandidatur in den Juni geschoben – hoffend, dass der Erreger dann unter Kontrolle ist.
Nur in Wisconsin ticken die Uhren anders. Obwohl Gouverneur Tony Evers dagegen ist und mehrere Bürgermeister ein Last-Minute-Verbot erwirken wollten, sollte im Schlüsselbundesstaat am Michigansee am Dienstag mithilfe des Obersten Gerichtshofes in Washington vorgewählt werden. Pikant: Während Bernie Sanders, der noch nicht aufgegeben hat, obwohl er so gut wie chancenlos ist, für Vertagung plädierte, hatte der in Umfragen klar favorisierte Alt-Vizepräsident nichts dagegen, dass die Leute in die Wahllokale gingen und sich latent in Ansteckungsgefahr brachten.
„Verantwortungsvolle Politik sieht anders aus“, schreiben Parteigänger aus der Hauptstadt Madison in sozialen Netzwerken.
Zumal es Biden war, der erst die inzwischen beschlossene Verlegung des Nominierungsparteitages im benachbarten Milwaukee von Juli auf August angemahnt hat, um am Wochenende einen ganz neuen Kurs einzuschlagen: Vielleicht, so der 77-Jährige, müsse man die Groß-Veranstaltung mit erwarteten 40.000 Gästen ganz abblasen und als virtuelle Konferenz ins Internet verlegen.
Ja, was denn nun? Die Posse um Wisconsin steht symbolisch für die Probleme, die Corona über die Demokraten und Biden gebracht hat. Kaum jemand spricht mehr über sie und ihren Konsens-Kandidaten Biden, der wegen seines spektakulären Comebacks am „Super Tuesday“ kürzlich noch gefeiert wurde.
Während Amtsinhaber Donald Trump die täglichen Virus-Pressekonferenzen im Weißen Haus zu kostenlos live im Fernsehen übertragenen Ego-Shows umfunktioniert hat, kämpft Biden aus einem improvisierten Studio im Keller seines Hauses in Wilmington/Delaware um Aufmerksamkeit: Ab und zu ein Interview, in dem er gemäßigt den Zickzack-Kurs des Amtsinhabers in der Corona-Krise rügt.
Video-Palaver mit Unterstützern, bei denen zuletzt keine 3.000 Leute einschalteten. Viel mehr ist nicht. Dazu kommt, dass auch die Finanzierung der Kampagne ins Stocken geraten ist. Die Auftritte zum Spendensammeln wurden ebenfalls ins Internet verlegt – und die liefen wiederholt nicht nur technisch aus dem Ruder.
Dazu kommt, dass andere Demokraten, wie etwa New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo sich in der Corona-Krise als politische Führungsfiguren profilieren. Cuomo dementiert selbst jede Ambition aufs Weiße Haus, wird aber in sozialen Medien als möglicher Kandidat gehandelt.
„Joe Biden hat ein Sichtbarkeitsproblem“, sagte ein Analyst dem Sender MSNBC,„und die Begeisterung hält sich in Grenzen.“ Um aus der Talsohle zu kommen, sollte Biden möglichst bald die Personalie des Vizepräsidenten-Kandidaten klären, raten Experten. Biden hat sich auf eine Frau festgelegt. Heiße Kandidatinnen: die Senatorinnen Kamala Harris, Amy Klobuchar und Elizabeth Warren sowie Gretchen Whitmer, Gouverneurin von Michigan.
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