Joe Biden im Porträt: Wie aus einem Humphrey-Bogart-Film
"Go easy on me, kid", "Sei nicht zu streng mit mir, Kind" - mit diesen Worten begrüßte Joe Biden seine parteiinterne Kontrahentin Kamala Harris am Mittwochabend bei der zweiten TV-Debatte der Präsidentschaftskandidaten der demokratischen Partei in Detroit. Seit er seine Kandidatur Ende April verkündet hatte, liegt der 76-Jährige, unter Barack Obama acht Jahre lang Vizepräsident der Vereinigten Staaten, in den Umfragen weit vor der Konkurrenz. Doch die erste Elefantenrunde der Demokraten vor knapp einem Monat ließ seinen Vorsprung deutlich kleiner werden.
Vor allem die kalifornische Senatorin Harris hatte ihn auf der Bühne regelrecht gegrillt, Biden wirkte zögerlich und überfordert. Harris warf ihm vor, in der Vergangenheit Senatoren gelobt zu haben, die vor Jahrzehnten die Rassentrennung in den USA befürworteten - Biden schien perplex, und konnte zunächst nur grinsen.
"Jeder fragte sich: Würde Biden wieder versuchen, unangenehme Fragen mit diesen großen, alten, perlweißen Zähnen wegzulächeln?", scherzte der Late-Night-Host Seth Meyers noch vor der Debatte. Biden selbst gestand sich ein: "Ich war wahrscheinlich zu höflich - in der Art und Weise, wie ich auf Angriffe nicht reagiert habe."
Dabei ist der 76-jährige ein erfahrener Politikfuchs, er saß für die Demokraten mehr als 35 Jahre im US-Senat, versuchte schon zweimal vergeblich, US-Präsident zu werden. 1998 stoppte ihn ein Plagiatsskandal, 2008 hatte er keine Chance gegen Hillary Clinton und Barack Obama. Biden tritt im Vorwahlkampf möglichst staatstragend auf, will mit seiner Erfahrung punkten.
Auch sein Bekanntheitsgrad überragt den der Konkurrenz. Die Menschen in den USA kennen "Uncle Joe" Biden, vor allem Demokraten verbinden seinen Namen wehmütig mit der Obama-Präsidentschaft. Doch wer Jahrzehnte in der Politik verbringt, bietet auch viel Angriffsfläche. Experten in den Staaten ist es ein Rätsel, wie Biden und sein Team so unvorbereitet in die erste Debatte gehen konnten.
"Wie aus einem Humphrey-Bogart-Film"
Umso wichtiger war die gestrige zweite Runde. Biden wirkte tatsächlich besser vorbereitet auf die Angriffe seiner Kollegen. Immer wieder hob er die aus seiner Sicht naturgemäß hervorragende Arbeit der Obama-Administration hervor, vor allem die gemeinhin als "ObamaCare" bekannte Gesundheitsreform.
Und Biden wurde auch selbst angriffig. Als seine Lieblingswidersacherin Harris gerade die Vorteile einer staatlichen Krankenversicherung nach europäischem Modell ausführte, meinte Biden: "Es fällt kein Wort darüber, dass dieser Plan unser Land drei Billionen Dollar kosten würde. Mit solchen Ankündigungen können Sie Donald Trump nicht besiegen. Diese Idee ist ein Haufen Mist." ("A bunch of malarkey")
Es ist typisch für Biden, dass er ausgerechnet "malarkey" sagt - ein heute kaum noch gebräuchliches Wort aus dem irischen Slang. Zusammen mit "go easy on me, kid", jenem Spruch gegenüber Harris, der ihm anschließend von manchen Beobachtern als herablassend oder gar sexistisch ausgelegt wurde, verstärkt seine Sprache den Eindruck, dass Biden den Zeitgeist einfach nicht trifft. Seth Meyers sagt dazu: "Wenn du nicht uralt wirken willst, dann sprich nicht wie aus einem Humphrey-Bogart-Film."
Fernab des Zeitgeistes
Biden ist der Inbegriff des "alten, weißen Mannes", im Verlauf seiner Karriere rutschten ihm immer wieder Wortmeldungen heraus, für die er sich im Nachhinein gezwungen sah, sich zu entschuldigen. Anfang des Jahres warfen ihm gar mehrere Frauen vor, ihnen gegenüber in der Vergangenheit durch ungewollte körperliche Nähe übergriffig geworden zu sein. Biden entschuldigte sich öffentlich und gelobte Besserung. Donald Trump, mit weitaus schlimmeren Vorwürfen konfrontiert, frohlockte auf Twitter.
Und doch bleibt der Eindruck: Biden vertritt nicht mehr den Mainstream innerhalb der heutigen demokratischen Partei, die während der Trump-Ära eine rasante Gegenentwicklung zu den Republikanern genommen hat, nach links gerückt und ethnisch diverser geworden ist. Zudem wünschen sich laut CNN nur 47 Prozent der demokratischen Wählerschaft eine Rückkehr in die oftmals romantisierte Obama-Ära, 57 Prozent hingegen erhoffen sich eine progressivere, linkere Agenda von ihrer Partei.
Die Heldinnen der Demokraten sind im Jahr 2019 die erst 29-jährige Alexandria Ocasio-Cortez, die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, die Senatorin von Massachusetts, Elizabeth Warren, die aktuell hinter Biden als aussichtsreichste mögliche Präsidentschaftskandidatin gilt - und natürlich Kamala Harris. Sie alle eint im Vergleich zu Biden ein progressiverer Zugang bei den Themen Gesundheit und Migration, sie bilden eine Gegenbewegung zur rechten, konservativen Agenda Donald Trumps.
Bidens Trumpfkarte
Biden ist dagegen ein Demokrat der alten Schule, der in seiner Karriere bereits häufig mit Republikanern kooperiert hat. Er ist Vorreiter des gemäßigten Parteiflügels und vertritt moderate bis konservative Ansichten. Beispielsweise nannte er die Gleichstellung von Homo- und Heterosexuellen sein "erstes Ziel, wenn ich Präsident bin", zu den Flüchtlingsströmen an der US-mexikanischen Grenze sagte er jedoch: "Wer illegal einreist, muss ausgewiesen werden können. Das ist eine Straftat."
Warum liegt der ehemals zweitmächtigste Mann der Vereinigten Staaten in den Umfragen dann immer noch vorne? Einerseits, weil er noch viele Fans der vergangenen Jahre und Jahrzehnte hat. Andererseits, weil es Bidens größte Stärke ist, dass er auch bei demokratischen Wählern außerhalb der linken Blase in den Großstädten des Nordostens und Südwestens funktioniert.
Im Grunde hat er das Potenzial, all jene abzuholen, die keinen rechten, machoiden Mann wie Donald Trump, aber auch keine linke Ideologin wie Elizabeth Warren an der Spitze haben wollen. Das gilt vor allem für die Wählergruppe der weißen Arbeiterschaft des sogenannten "rust belt", der großen US-Industriegebiete. Es sind jene Menschen, die 2012 für Obama, 2016 jedoch für Trump gestimmt haben.
Wenn Biden bei seinen künftigen Wahlkampfauftritten gut genug abliefert, dürfte diese Trumpfkarte ihn bis zur demokratischen Kandidatur tragen. Sollte seine Reputation bis dahin allerdings von der parteiinternen Konkurrenz zu stark beschädigt worden sein, dürfte es ein schweres Rennen gegen den noch deutlich angriffigeren amtierenden Präsidenten werden.
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