Jeremy Corbyn, der Inspektor Columbo der britischen Politik

Labour-Chef Jeremy Corbyn
Labour will ein zweites Brexit-Referendum - der Vorstoß hat vor allem auch innerparteiliche Gründe.

Lange konnte er zurückgelehnt zusehen, wie sich sein politischer Gegner, die Tories, in der Frage des EU-Austritts selbst zerfleischten. Jetzt gerät Jeremy Corbyn selbst in die Krise.

Neun Abgeordnete hatten sich im Laufe der vergangenen Woche von seiner Labour-Partei losgesagt – und ihre Abgänge jeweils mit herber Kritik an Corbyn höchstpersönlich gewürzt. Linienlos, ein Wahltaktiker, ein Antisemit – so lautete die Kritik. Dabei hatte es bereits so ausgesehen, als würde der deklarierte Linke der nächste Premierminister Großbritanniens werden.

Als Corbyn im September 2015 den Parteivorsitz übernahm, lag Labour am Boden. Bei den Wahlen im Mai 2015 hatten die Arbeiterpartei eine massive Niederlage gegen die Tories unter David Cameron eingefahren. Mit Ed Miliband hatten die linken einen Zentrumsmann ins Rennen geschickt, der schon unter Tony Blair und Gordon Brown in der Regierung gesessen hatte – und wurden bitter abgestraft. Corbyn gewann die parteiinternen Wahlen mit knapp 60 Prozent der Stimmen. Seine Wahl markierte einen Schwenk zurück zu alten Werten der Sozialdemokratie. Keine Rede war mehr von einem Dritten Weg, wie in Blair vorgegeben hatte, der Marktwirtschaft und Sozialstaat kombiniere wolte.

Labour-Chef mit Erinnerungsfaktor

Eines ist Corbyn jedenfalls ganz sicher nicht: Austauschbar. Er ist ein Mann mit Erinnerungsfaktor. So etwas wie der Inspektor Columbo der britischen Politik: Trenchcoat, kauzig, basisnahe, leise im Umgang, scharf in der Position. Und die ist ausgesprochen links. Als „demokratischer Sozialist“ bezeichnete er sich selbst. Er lehnt die Monarchie, NATO, New Labour und Austeritätspolitik ab.

Was ihm die Abgänger jetzt vorwerfen, den Antisemitismus: Das beruht auf einer Reihe antiisraelischer Aussagen und Sympathie-Bekundungen für Gegner Israels. Da hatte Corbyn etwa die Hamas und die Hisbollah 2009 als „Freunde“ bezeichnet. Erklärungsversuche Corbyns blieben vage. Und immer wieder geriet er ins Fahrwasser palästinensischer Extremistengruppen. Etwa als im Vorjahr Bilder aus dem Jahr 2014 auftauchten, die ihn bei einer Gedenkveranstaltung für die Attentäter des Anschlages von München 1972 zeigten. Direkt auf Antisemitismus angesprochen wies Corbyn diese Vorwürfe immer zurück und bekundete, Rassismus habe keinen Platz in der Partei.

Die jetzt ausgetretenen Mandatare aber bezeichnen Labour als Triebfeder des britischen Antisemitismus.

Keine klare Brexit-Linie

Auslöser ihres Abgangs war aber viel eher das Schlingern der Partei in der Brexit-Frage. Corbyn selbst vermied es eine konkrete Position zu beziehen, wobei er sich eher für einen Austritt Großbritanniens aus der EU aussprach. Vor allem aber schien er vor allem im Focus zu haben, die britische Premierministerin Theresa May zu Fall zu bringen, um Neuwahlen zu provozieren.

Dabei aber schien er, die strauchelnde May vor Augen, die Zerrissenheit seiner Partei aus dem Auge verloren zu haben. Denn beinahe noch mehr fast als die Tories ist Labour in der Frage eines EU-Austritts intern zerrissen zwischen ausgesprochenen EU-Befürwortern, Austritts-Befürwortern, Pragmatikern, die zumindest einen harten Brexit um jeden Preis verhindern wollen und daher für Mays Deal mit der EU gestimmt haben (auch, weil sie kein zweites Referendum wollen) und solchen, die ganz massiv für ein zweites Referendum eintraten.

Letztere Position hat sich jetzt scheinbar durchgesetzt. Eine Position, für die Corbyn an sich nicht gestanden war. Dass seine Partei jetzt eine zweite Abstimmung will, hat wohl auch damit zu tun, dass Corbyn jetzt vor allem eines tun muss: Labour vor dem Zerfall zu retten.

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