Gegenüber dem Ausland gab sie sich moderat, gegenüber Konkurrenten streng, vor ihren Wählern impulsiv und leger: Die Rechtspopulistin Giorgia Meloni auf dem Weg ins Premierministeramt.
24.09.22, 18:00
„Kleider machen Leute“, lautet ein Sprichwort. Die italienische Version lautet aber anders: „Das Kleid macht keinen Mönch“ – und passt eigentlich besser zu Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtspopulistischen Fratelli d’Italia und vermutlich nächste italienische Regierungschefin. Bei ihren Wahlkundgebungen quer durchs ganze Land pflegte sie einen lässigen Stil, Jeans und T-Shirts, lange Kleider und Röcke. Nicht immer wirklich modisch, aber vielleicht war das auch gewollt: Je schlichter ihr Aussehen, umso mehr Gehör würde sie sich verschaffen.
Eine ganz andere Strategie fährt ihr Bündnispartner Matteo Salvini, Chef der nationalpopulistischen Lega. Er liebt es, sich je nach Ort und Gelegenheit zu verkleiden: Einmal ist es das Polohemd der Polizei, ein andermal die Schürze eines Bäckers.
Postfaschistische Schatten
Meloni wechselt ihren Stil gerne, vor allem politisch. Gegenüber dem Ausland gibt sie die ernsthafte Politikerin, die mit Faschismus nichts am Hut hat. Grund für ihre Beschwichtigungsoffensive sind die postfaschistischen Wurzeln ihrer Partei: Vorgängerpartei der Fratelli d’Italia war die postfaschistische Nationale Allianz, in den 1980er-Jahren umbenannt aus dem direkt aus den italienischen Faschisten entsprungenen Movimento Sociale Italiano. Gegründet 2012, holten die Fratelli bei der letzten Wahl 2018 weniger als vier Prozent der Stimmen; heute, Sonntag, werden ihr mehr als 24,5 % prophezeit, inklusive Ministerpräsidentenamt.
Internationale Bedenken versuchte sie in einer dreisprachigen Videobotschaft zu zerstreuen: „Die italienische Rechte hat den Faschismus, die Beraubung der Demokratie seit Jahrzehnten verurteilt. Genauso eindeutig verurteilen wir den Nationalsozialismus und den Kommunismus. Letzterer ist die einzige totalitäre Ideologie des 20. Jahrhunderts, die in manchen Staaten noch an der Macht ist.“
Da aber nicht nur der Ton die Musik macht, gab es auch für die Podiumsdiskussionen mit anderen Politikern, etwa für die Debatte mit Enrico Letta, Vorsitzender der Demokratischen Partei, einen anderen Dress- und Sprachcode: Nüchtern, schnörkellos, mit Zopf fast schon streng.
Meloni tritt mit schnellen Bewegungen und feurigem Temperament auf. Die einen lieben sie dafür und vertrauen ihr, gerade weil sie mit Leib und Seele auf der Bühne ihre Botschaft verkündet: „Ich bin eine Frau, eine Mutter, eine Christin.“Die anderen sehen darin die Bestätigung ihrer autoritären Neigungen. Eine Zeit lang ist es Meloni gelungen, sich zu zügeln. Im Endspurt ist dann aber doch die alte Giorgia herausgeplatzt: Sie ließ ihrer Zunge wieder freien Lauf. So warnte sie Brüssel, sich in Zukunft warm anzuziehen, denn jetzt sei „Schluss mit lustig“: Die Linke habe Italien in der EU nie verteidigt, sondern das Land zum Anhängsel von Berlin und Paris gemacht. „Wir wollen ein gleichwertiges Mitglied sein, und die Interessen Italiens verteidigen“, dröhnte sie mit bebender Stimme auf dem Mailänder Domplatz ins Mikrofon.
Nach Wochen, in denen Meloni bemüht war, der EU Bündnistreue zu signalisieren, scheint wieder offen, was für ein Partner ein Mitte-rechts-regiertes Italien, wenn es dazu kommt, sein wird. Fest steht, dass Rom von Brüssel abhängig ist, etwa was Post-Covid-Hilfsgelder betrifft. Fest steht auch, dass umgekehrt die EU vom Stimmverhalten Italiens abhängig ist, etwa bei qualifizierten Mehrheiten, bei denen mindestens 15 EU-Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung vertreten, notwendig sind (bei Sanktionen gegen Ungarn etwa).
Der scheidende Premier Mario Draghi, seit Februar 2021 so etwas wie ein ewiger Hoffnungsträger in der italienischen Politik und Stabilitätsanker für Brüssel, hatte zuletzt die Parteien gewarnt, sich die falschen Partner in Europa auszusuchen. Meloni, vom Wahlerfolg der rechtspopulistischen Schwedendemokraten beflügelt, scherte das wenig. Vor ein paar Tagen ermutigte sie die spanische rechtspopulistische Partei Vox: „Ich hoffe, dass unser Sieg auch in Spanien den Weg für eine Mitte-Rechts-Regierung ebnet.“
Stimme für Ungarn
Und was Ungarn betrifft, dem das EU-Parlament vergangene Woche den Demokratiestatus abgesprochen hat, verteidigte Meloni die EU-Abgeordneten der Fratelli d’Italia, die dagegen gestimmt hatten. „Viktor Orbán ist demokratisch gewählt worden“, hob sie hervor. Außerdem sei es gegen Europas Interesse, mitten in einem Krieg, die Mitgliedsstaaten zu spalten und Orbán weiter in die Arme Putins zu treiben.
Wie gesagt: Im Wechsel ihres auch politischen Stils ist Meloni nicht zimperlich.
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