Niederlage bei Referendum: Renzi tritt zurück

Matteo Renzi erklärte seinen Rücktritt
Matteo Renzi ist mit seinem Referendum klar gescheitert. Jetzt tritt er zurück.

Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi ist laut ersten Hochrechnungen zufolge mit seiner Verfassungsreform deutlich gescheitert.

In einer Stellungnahme nahm er die Verantwortung für das Scheitern auf sich und erklärte seinen Rücktritt - so, wie er es für den Fall einer Niederlage angekündigt hatte.

Er werde noch am Montag bei Präsident Mattarella seinen Rücktritt einreichen, sagte Renzi noch in der Nacht von Sonntag auf Montag.

Die Mehrheit der Italiener stimmte laut ersten Hochrechnungen in einem Referendum am Sonntag klar gegen das Vorhaben, das das Regieren leichter machen und Blockaden auflösen sollte.

Rund 59 Prozent votierten gegen die Verfassungsänderung. Die Wahlbeteiligung lag dem Innenministerium zufolge bei fast 70 Prozent.

Niederlage bei Referendum: Renzi tritt zurück
A picture shows ballots in a polling station during a referendum on constitutional reforms, on December 4, 2016 in Rome. Italians began voting today in a constitutional referendum on which reformist Prime Minister Matteo Renzi has staked his future. Under Renzi's proposed reform, a body of 315 directly-elected and five lifetime lawmakers will become one with only 100 members, mostly nominated by the regions. The body would also be stripped of most of its powers to block and revise legislation, and to unseat governments. / AFP PHOTO / Filippo MONTEFORTE

Für den Fall eines Scheiterns waren zudem neue Turbulenzen an den Finanzmärkten und in der Eurozone erwartet worden. Renzi selbst hatte sich von einem Ja Rückenwind für Veränderungen in Europa erhofft.

Für den Sozialdemokraten und seine Partei Partito Democratico (PD) ist das Ergebnis die schwerste Schlappe der fast dreijährigen Amtszeit.
Gegner der Reform waren unter anderem die euro-kritische Fünf-Sterne-Protestbewegung, die rechtspopulistische Lega Nord und die Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi.

Experten befürchten wirtschaftliche Turbulenzen

Im Vorfeld hatten Experten vor Marktturbulenzen im hochverschuldeten Italien nach einem „Nein“ gewarnt. Denn politische Instabilität könnte die lahme italienische Wirtschaft weiter belasten und Krisenbanken wie Monte dei Paschi di Siena weiter nach unten reißen.

Die „Boschi-Reform“, benannt nach der Reformministerin Maria Elena Boschi im Renzi-Kabinett, sollte das Zwei-Kammer-System vereinfachen. So sollte der Senat von 315 Mitgliedern auf 100 gestutzt und nicht mehr vom Volk gewählt werden. Auch hätte er nicht mehr das Recht gehabt, über alle Gesetze abzustimmen. Renzi hatte argumentiert, dass damit die dauernden Regierungsblockaden in Italien aufgelöst würden.

Alle Augen werden sich nach dem „Nein“ nun vor allem auf Staatspräsident Sergio Mattarella richten, der jetzt entscheiden muss, wie es weiter geht. Nach dem Rücktritt Renzis ist es möglich, dass eine Übergangsregierung aus Technokraten eingesetzt wird, bis es neue Parlamentswahlen 2018 gibt. Möglich sind aber auch Neuwahlen im kommenden Jahr.

Niederlage bei Referendum: Renzi tritt zurück
People queue to vote during a referendum on constitutional reforms, on December 4, 2016 outside a polling station in Rome. Italians began voting today in a constitutional referendum on which reformist Prime Minister Matteo Renzi has staked his future. Under Renzi's proposed reform, a body of 315 directly-elected and five lifetime lawmakers will become one with only 100 members, mostly nominated by the regions. The body would also be stripped of most of its powers to block and revise legislation, and to unseat governments. / AFP PHOTO / Filippo MONTEFORTE

Für die Gültigkeit des Referendums war kein Beteiligungsquorum nötig, da es um eine Bestätigung einer vom Parlament gebilligten Verfassungsreform ging. Mit Wahlergebnissen wird in der Nacht auf Montag gerechnet. Laut Nachwahlbefragungen wurde die Reform der Regierung von Matteo Renzi von den Italienern mehrheitlich abgelehnt.

Bis 19.00 Uhr hatten bereits 56 Prozent der wahlberechtigten Italiener ihre Stimmen abgegeben, teilte das Innenministerium in Rom mit. Insgesamt waren 47 Millionen Italiener aufgerufen über die umfassende Verfassungsreform der Regierung abzustimmen. Mit der Reform soll der Senat verkleinert und entmachtet und damit die legislative Arbeit erleichtert werden.

Nein-Befürworter feiern

Die Gegner der Verfassungsreform haben am Sonntagabend nach Veröffentlichung von Nachwahlbefragungen den Sieg des "Nein" bei dem Referendum bereits gefeiert. "In Italien hat der Rexit (aus Renzi und Exit, Anm.) begonnen", erklärte der Fraktionschef der oppositionellen Forza Italia, Maurizio Gasparri.

Der Chef der ausländerfeindlichen Oppositionspartei Lega Nord, Matteo Salvini, forderte den Rücktritt Renzis und sofortige Neuwahlen. "Die Italiener haben bewiesen, dass sie mit Renzi Schluss machen wollen. Sie sind ein Volk, das sich nicht mit Drohungen seitens der Bankiers und der Finanz einschüchtern lässt", so Salvini.

Der stellvertretende Chef der von Renzi angeführten Demokratischen Partei (PD), Lorenzo Guerini, erklärte, dass die Gruppierung noch auf sichere Resultate warte. Am Dienstag soll das Parteigremium die Ergebnisse prüfen.

Niederlage bei Referendum: Renzi tritt zurück
Referendum ballots are seen at a polling station in Milan, Italy, December 4, 2016. REUTERS/Alessandro Garofalo
1. Eine Verfassungsänderung wird seit 30 Jahren diskutiert.

2. Die Reform wurde bereits vom Senat und der Abgeordnetenkammer abgenickt.

3. Sie soll ein in Europa einzigartiges System mit zwei gleichberechtigten Parlamentskammern abschaffen ("perfekter Bikameralismus").

4. 47 Paragrafen sollen geändert werden.

5. Der Senat soll von 315 auf 100 Mitglieder schrumpfen und ehrenamtlich arbeiten.

6. Das Volk soll die Senatoren nicht mehr direkt wählen können, nur noch die Abgeordnetenkammer.

7. Die Senatoren sollen nicht mehr über alle Gesetze abstimmen können, nur noch über Verfassungs- und EU-Fragen.

8. Nur die Abgeordneten sollen der Regierung das Vertrauen entziehen können.

9. Die Rechte der Regionen sollen beschnitten werden und der Staat künftig über Angelegenheiten wie Tourismus, Kulturgüter und Zivilschutz entscheiden.

10. Mit der Reform soll der Staat 500 Millionen Euro sparen. Kritiker sprechen von maximal 100 bis 160 Millionen.

Niederlage bei Referendum: Renzi tritt zurück
A man casts his ballot during a referendum on constitutional reforms, on December 4, 2016 in a polling station in Rome. Italians began voting today in a constitutional referendum on which reformist Prime Minister Matteo Renzi has staked his future. Under Renzi's proposed reform, a body of 315 directly-elected and five lifetime lawmakers will become one with only 100 members, mostly nominated by the regions. The body would also be stripped of most of its powers to block and revise legislation, and to unseat governments. / AFP PHOTO / Filippo MONTEFORTE
Der italienische Regierungschef Matteo Renzi nennt sie die "Mutter aller Reformen". Die Verfassungsänderung, mit der Italiens Grundgesetz nach fast 70 Jahren reformiert wird, soll das parlamentarische System modernisieren und effizienter gestalten. Die Italiener sollen per Referendum am heutigen Sonntag die vom Parlament verabschiedete Reform absegnen. Hier die wesentlichen Punkte der Reform:

100 Senatoren: Künftig wird der Senat nur noch aus 100 Sitzen bestehen, statt aus 315 wie bisher. 74 Senatoren sollen Vertreter der Regionalparlamente, 21 Bürgermeister von Großstädten sein. Außerdem kann der Staatspräsident fünf Senatoren ernennen. Letztere werden jedoch lediglich sieben Jahre (die Amtszeit des Präsidenten) im Senat sitzen, nicht mehr auf Lebenszeit. Südtirol wird zwei Senatoren entsenden.

Mandatsdauer: Die Dauer des Mandats eines Senators ist an die Legislatur seines Regionalrats bzw. seines Landtags gebunden. Auf die bisherigen Gehälter von bis zu 15.000 Euro monatlich müssen die Senatoren verzichten. Sie erhalten nur noch die Gehälter ihrer Regionalparlamente. Kein Land im Westen leistet sich ein so großes und teures Parlament wie Italien bisher.

Vertrauen und Kompetenzen: Der Senat wird künftig nur noch für eine begrenzte Zahl von Gesetzen zuständig sein und bei Vertrauensabstimmungen nicht mehr gefragt werden. Bindend ist die Zustimmung des Senats nur noch bei internationalen Verträgen, bei Verfassungsreformen, bei der Wahlgesetzgebung und beim Familienrecht und Minderheitenschutz. Für alle anderen Themenbereiche ist nur noch die Abgeordnetenkammer zuständig. Somit wird das seit 70 Jahren geltende und blockadeanfällige Parlamentssystem mit zwei gleichberechtigten Kammern abgeschafft. Dieses führte dazu, dass Gesetzesinitiativen oft jahrelang zwischen den beiden Häusern hin und her geschoben wurden.

Vorrangige Gesetze: Die Regierung wird künftig die Abgeordnetenkammer bitten können, sich prioritär mit Gesetzesentwürfen zu befassen, die sie für wichtig hält. Die Abgeordnetenkammer wird darüber binnen 70 Tagen abstimmen müssen. Bei komplexeren Gesetzen verlängert sich diese Frist auf insgesamt 95 Tage.

Verfassungsgericht: Die Abgeordnetenkammer wird drei Verfassungsrichter wählen, der Senat zwei. Die "Corte Costituzionale" wird sich künftig zur Rechtskonformität des Wahlgesetzes äußern können.

Referendumsrecht: Das Referendumsrecht wird erweitert. Erstmals sind auch Volksabstimmungen vorgesehen, mit denen Gesetze eingeführt werden. Bisher sah die Verfassung lediglich Referenden zur (teilweisen) Aufhebung geltender Gesetze vor.

Wahlmodus für den Staatspräsidenten: Das Staatsoberhaupt soll vom Parlament künftig in einer Geheimabstimmung möglichst mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Nach dem vierten ergebnislosen Wahlgang wird eine Mehrheit von drei Fünfteln der Wahlberechtigten genügen, um das Staatsoberhaupt zu wählen. Nach dem siebenten Wahlgang sinkt die Mehrheit auf drei Fünftel der tatsächlich Abstimmenden.

Zentralismus: Der italienische Staat entzieht den Regionen zahlreiche Zuständigkeiten, vor allem im Bereich Energie, Infrastrukturen, Gesundheit und Zivilschutz. Die Provinzen, die mittlere Ebene der Gebietskörperschaften Italiens, werden abgeschafft, mit Ausnahme der Autonomen Provinzen Bozen und Trient. Auch der in der Verfassung verankerte Nationalrat für Wirtschaft und Arbeit (CNEL) fällt weg.

Wahlgesetz: Sollte die Verfassungsänderung per Referendum abgesegnet werden, würde die Regierung eine deutlich stärkere Stellung als derzeit erhalten, weil in den vergangenen Monaten auch das Wahlrecht für das Abgeordnetenhaus geändert wurde. Bei den nächsten Wahlen erhält die stärkste Partei automatisch 54 Prozent der Sitze, sofern ihr Stimmenanteil 40 Prozent übersteigt. Sollte keine Partei diese Hürde überwinden, treten die beiden stärksten Parteien in einer Stichwahl gegeneinander an. Die siegreiche Partei erhält dann den Mehrheitsbonus. Der künftige Regierungschef wird daher nicht mehr von zerstrittenen Koalitionen abhängig sein, was Italien eine stärkere politische Stabilität bescheren soll. 63 Regierungen hat es in den vergangenen 70 Jahren in Italien gegeben.

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