Ist Donald Trump diesmal zu weit gegangen?
Donald Trump setzt gerne harte Bandagen ein. Er hat im Wahlkampf Muslime beleidigt, Kriegsgefangene, Frauen, mexikanische Immigranten, einen Latino-Richter und einen behinderten Journalisten. Bisher hat ihm das bei seinen Anhängern offenbar wenig geschadet. Er könne auf New Yorks Fifth Avenue stehen und "jemanden erschießen" und würde trotzdem keine Stimmen verlieren, hatte Trump noch im Januar geprahlt.
Im Fall des Ehepaars Khizr und Ghazala Khan könnte Trump allerdings zu weit gegangen sein. Mit seiner völlig unsensiblen Reaktion auf die Kritik der Eltern eines gefallenen muslimischen US-Soldaten auf dem Parteitag der Demokraten hat Trump eine Linie überschritten. Es gibt das ungeschriebene Gesetz, dass gefallenen Soldaten und deren Familien besonderer Respekt entgegenzubringen ist. Und so wies auch Ohios republikanischer Gouverneur John Kasich am Wochenende Trump zurecht. "Hauptmann Khan ist ein Held", sagt Kasich, und: "Wir sollten für Familie Khan beten". Die New York Times nannte die Konfrontation einen unerwarteten und möglicherweise "ausschlaggebenden Unruheherd" bei der Präsidentschaftswahl im November.
Die Khans am Demokraten-Parteitag
Was war genau passiert? Die Eltern des 2004 getöteten US-Soldaten Humayun S. M. Khan hatten vergangene Woche mit ihrem emotionalen Auftritt beim Parteitag der Demokraten viel Aufsehen erregt. Der pakistanischstämmige Vater Khizr Khan hatte Trump vorgeworfen, "nichts und niemanden geopfert" zu haben und die Muslime in den USA zu verteufeln. Der Rechtspopulist hatte im Wahlkampf ein allgemeines Einreiseverbot für Muslime gefordert und sie in die Nähe von Terroristen gerückt. "Schauen Sie auf die Gräber der mutigen Patrioten, die bei der Verteidigung der USA gestorben sind", sagte Khan an Trump gerichtet. "Sie werden alle Glaubensrichtungen, Geschlechter und Ethnien sehen."
Attacke auf trauernde Mutter
Nicht nur dass Trump den Vater des gefallenen Soldaten attackierte, er äußerte sich auch zu Khans Frau Ghazala, die während der Rede neben ihrem Mann gestanden war. "Sie hatte nichts zu sagen", sagte der umstrittene Republikaner. "Vielleicht war es ihr nicht erlaubt, etwas zu sagen."
Die Betroffene, Ghazala Khan, widersprach diesen Vermutungen. Auf der Bühne, mit einem riesigen Foto ihres Sohnes im Rücken, habe sie kaum sprechen können. "Welche Mutter könnte das? Donald Trump hat Kinder, die er liebt. Muss er wirklich fragen, warum ich nicht geredet habe?", fragte sie in einem Gastbeitrag in der Washington Post (siehe unten). Trump wisse nicht, was das Wort "Opfer" bedeute. Auf ABC News hatte sie bereits erklärt, ihr Mann Khizr habe sie gebeten zu sprechen, doch habe sie Angst gehabt, zu emotional zu werden. "Als ich dort stand, fühlte ganz Amerika meinen Schmerz. Ohne ein Wort zu sagen. Alle fühlten meinen Schmerz."
Trumps Muslime bekommen ein Gesicht
Khizr Khan zeigte sich wütend, Trump habe kein Recht, die Angehörigen getöteter Soldaten "verächtlich zu behandeln". "Schande über ihn. Schande auf seine Familie", sagte er auf ABC News. "Ihm fehlt jeder Anstand, er hat ein dunkles Herz."
"Die Welt sah eine trauernde Mutter, Trump nur eine Muslimin", bringt es der britische Guardian auf den Punkt.
Trumps von vielen als hetzerisch empfundene Politik gegen Muslime hat durch seinen Konflikt mit den Khans nun auch ein Gesicht bekommen.
Harsche Kritik
Die Republikaner versuchten zwar noch am Samstagabend, die Debatte einzufangen und veröffentlichten eine Erklärung Trumps, in der er Khans gefallenen Sohn als "Held" würdigte und dazu aufrief, alle zu ehren, die "das höchste Opfer erbracht haben, um unser Land sicher zu halten". Das kleinlaute Zurückrudern entfaltete aber keine Wirkung. Trump hätte zum Auftritt der Khans lieber schweigen sollen. Die Erniedrigung gebrochener Eltern, einer Mutter, die ihr Kind verloren hat - das ist ein furchtbarer Fehltritt, für dem es auch aus republikanischen Kreisen harsche Kritik hagelte.
Senator Lindsey Graham zeigte sich besonders irritiert: "Es gab einmal einige Dinge, die in der amerikanischen Politik heilig waren“, zitierte ihn die New York Times. Dinge, die sich nicht gehörten, "wie die Eltern eines gefallenen Soldaten zu kritisieren, selbst wenn sie dich kritisieren. Wenn du Führer der freien Welt sein willst, musst du in der Lage sein, Kritik einzustecken. Und Herr Trump kann das nicht."
Auf den Sturm der Empörung reagierte der bekanntlich äußerst dünnhäutige Trump erneut mit einer Attacke: "Ich wurde von Mr. Khan in bösartiger Weise angegriffen. Ist es mir nicht erlaubt zu antworten? Hillary hat für den Irak-Krieg gestimmt, nicht ich!"
Da reichte es auch dem Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan. "Viele amerikanische Muslime haben tapfer in unserem Militär gekämpft und das größte Opfer gebracht", stellte der einflussreiche Republikaner klar. "Captain Khan war so ein Beispiel. Sein Opfer — und das von Khizr und Ghazala Khan — sollte immer gewürdigt werden. Punkt."
Clinton macht derweil Wahlkampftour
Hillary Clinton stellte sich klarerweise hinter die Familie Khan. Der "mutige und würdevolle" Auftritt von Ghazala Khan beim Parteitag habe sie "sehr bewegt", erklärte die demokratische Präsidentschaftskandidatin. Der gefallene Hauptmann Khan und seine Familie gehörten zu "den Besten Amerikas, und wir bezeugen ihnen unsere Ehre".
Des Weiteren hielt sie sich aber aus der Debatte um Trumps Aussagen heraus und begab sich zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase auf Tour in möglicherweise wahlentscheidende Staaten.
Schadensbegrenzung
Trump, der bei seinem Nominierungsparteitag endlich die innerparteilichen Kritiker in den Griff zu bekommen schien, war hingegen am Wochenende mit Schadensbegrenzung beschäftigt - ohne den Schaden wirklich einzudämmen. Im Gegenteil: Er schien sich immer tiefer in einen Wirbel hineinzutwittern - "als würde er irgendwie überhaupt nicht begreifen, was er da anrichtet", sagte ein CNN-Kommentator fast fassungslos.
Ghazala Khan, die Mutter eines im Irak getöteten muslimischen US-Soldaten, äußert sich in einem Gastbeitrag in der Washington Post zu den Aussagen von Donald Trump. Die zentralen Passagen im Wortlaut:
"Donald Trump hat gefragt, warum ich auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten nicht gesprochen habe. Er hat gesagt, er würde gerne von mir hören. Hier ist meine Antwort an Donald Trump: Indem ich kein Wort gesagt habe, hat die ganze Welt, ganz Amerika, meinen Schmerz gefühlt. ... Wer auch immer mich gesehen hat, hat mich im Herzen gespürt.
...Humayun ist mein mittlerer Sohn, und den anderen geht es sehr gut, aber ich spüre jeden Tag den Schmerz dieses Verlustes. Es ist 12 Jahre her, aber Sie wissen, dass Herzen voller Schmerz niemals heilen, solange wir leben. Nur darüber zu reden, ist für mich immer schwierig. Jeden Tag, wann immer ich bete, muss ich für ihn beten, und ich weine. Der Platz, der nun leer ist, wird für immer leer bleiben.
Ich kann keinen Raum betreten, in dem Bilder von Humayun sind. In all diesen Jahren konnte ich den Schrank, in dem seine Sachen sind, nicht aufräumen. Ich musste meine Schwiegertochter darum bitten. Als ich die Parteitags-Bühne betrat, mit einem riesigen Foto meines Sohnes hinter mir, konnte ich mich kaum beherrschen. Welche Mutter könnte das? Donald Trump hat Kinder, die er liebt. Muss er sich wirklich fragen, warum ich nicht gesprochen habe?
Donald Trump hat gesagt, dass ich vielleicht nichts sagen durfte. Das ist nicht wahr. Mein Mann hat mich gefragt, ob ich sprechen möchte, aber ich habe ihm gesagt, ich könne nicht. Meine Religion lehrt mich, dass alle Menschen in den Augen Gottes gleich sind. Mann und Frau sind Teil voneinander, man soll sich lieben und respektieren, damit man für die Familie sorgen kann.
Wenn Donald Trump über den Islam spricht, hat er keine Ahnung. Wenn er sich mit dem wirklichen Islam und dem Koran beschäftigt hätte, dann würden sich all seine Vorstellungen, die er von Terroristen hat, ändern. Denn Terrorismus ist eine andere Religion.
Donald Trump hat gesagt, er hat eine Menge Opfer gebracht. Er weiß nicht, was das Wort Opfer bedeutet."
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