Wo ist der Unterschied? Die Warteschlange vor dem riesigen Asrieli-Einkaufscenter in Tel Aviv ist am Sonntag
mit Öffnung der Geschäfte länger geworden. Ansonsten ist alles wie während des Lockdowns: Kurze Fiebermessung am Handgelenk, Mundschutz sitzt? Der Nächste bitte.
Türsteher Avi zuckt die Schultern: „Im Center gibt es zwei Supermärkte und Computerläden – deshalb blieben wir geöffnet.“ Jetzt öffnen auch die Läden für Textilien und Schuhe, Schmuck und Kosmetik. Auch die Geschäfte in den Straßen und Märkte. Bis auf die, deren Rollläden nicht hochgezogen wurden: „Zu vermieten“ steht darauf.
Mosche Rosenblum, Avis Chef und Direktor der Shopping-Mall, weiß, wie kritisch die Lage nach fast drei Monaten Lockdown ist: „Natürlich werden die Leute kommen wie verrückt. Aber werden sie auch Geld ausgeben?“
Geteilte Freude auch bei der Öffnung der Oberschulen. Kindergärten und Volksschulen öffneten schon letzte Woche, sind jüngere Kinder doch weniger vom Virus bedroht. Jetzt folgten Oberstufen. Die Älteren müssen sich ja auf ihre Matura vorbereiten.
Doch die beiden Kinder von Alma Tassia (37) gehen in die Unterstufe: „Wo leben wir eigentlich? Soll in Israel Shopping jetzt wichtiger sein als Erziehung?“ Ihre Kinder wollen nicht klagen, sondern protestieren: „Die haben uns vergessen“, grinst Liroi (14), „aber wir organisieren unseren Unterricht bald selbst. Im Einkaufscenter. Unser Lehrer will mitmachen.“
Eintrittskarte
Synagogen, Moscheen und Kirchen arbeiten weiter wie im Lockdown. Also nur wenn bei Mindestdistanz „in Kapseln“ gebetet werden kann. Es sei denn – die Besucher haben einen „Grünen Pass“.
Nicht nur beim Gebet. Mit dem grünen Schein kommen doppelt Geimpfte und Corona-Genesene fast überall rein. „Aber wie komm ich an ihn ran?“, fragte am Sonntag im Center Chesi (67) – „Stundenlang ist die Webseite überlastet. Dann kam der Bestätigungscode nicht. Schließlich doch, aber um drei Uhr in der Nacht.“
Auch Chesi will bald wieder Theater, Konzerte und sogar Sportstadien besuchen. Oder ins Fitness-Center im Asrieli. Der Türsteher dort berichtet: „Ich glaubte es nicht, aber früh um fünf Uhr kamen die Ersten. Da wusste ich noch gar nicht, wie der Schein aussieht.“
Unscheinbar. Leicht in jedem Schwarz-Weiß-Drucker zu kopieren. Daher nur zusammen mit dem Personalausweis gültig. Aber wer soll das kontrollieren? Avi am Eingang wohl kaum: „Das bringt eine Warteschlange, in der will niemand stehen.“ Auch sein Chef meint: „Wir sind nicht die Polizei.“ Und die sagt: „Wir sind doch keine Türsteher.“
Ob „der Schein“ trügt, wird sich im Härtetest am Mittwoch zeigen: Denn dann startet der Purim-Karneval. Schon im letzten Jahr ein Viren-Beschleuniger wie einst Ischgl. Ein Fest nicht nur für orthodoxe Juden, die sich schon im Lockdown von den Regierungsverboten nicht in ihr Leben reinreden ließen. Selbst zu einem hohen Preis an Toten. Purim ist ein religiöses Fest, das selbst die Unfrömmsten unter den Säkularen feiern.
Kein biblisches Wunder
Trotzdem wartete die Regierung mit ihren Lockerungen nicht bis nach den Feiertagen. So wollten es die orthodoxen Minister im israelischen Kabinett, und ohne die läuft da gar nichts. Wozu ein Radio-Kommentator bemerkte: „Das ist kein biblisches Wunder, sondern Wahlkampf.“ Was auch die Mütter von Mittelstufen-Schülern wissen sollten. Fazit: Israels Straßen und das Leben werden wieder bunter. Bis auf ein paar graue Rollläden.
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