Tod von Hisbollah-Anführer Nasrallah bestätigt, Konflikt "brandgefährlich"
Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah ist laut israelischen Angaben bei einem Angriff am Freitag in einem Vorort von Beirut getötet worden. "Hassan Nasrallah wird nicht länger in der Lage sein, die Welt zu terrorisieren", teilte das israelische Militär mit. Die Hisbollah bestätigte den Tod ihres langjährigen Anführers Nasrallah. Der Kampf gegen Israel werde weitergehen, heißt es in einer Erklärung der Terrormiliz.
Man werde den Kampf fortsetzen "zur Unterstützung von Gaza und Palästina, zur Verteidigung des Libanon und seines standhaften und ehrenhaften Volkes", erklärte die vom Iran unterstützte Miliz am Samstag. Die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen erklärte, Nasrallahs Tod werde den Widerstand nur stärken.
Auch der wichtige Hisbollah-Kommandant für den Süden des Landes, Ali Karaki, sei ums Leben gekommen. Die israelische Luftwaffe führte in der Früh weitere Angriffe auf Ziele im Libanon aus. Lokale Medien berichteten von mindestens drei Angriffen südlich von Beirut. Demnach sei der Vorort Chiyah getroffen worden. Das israelische Militär bestätigte erneute Angriffe, ohne weitere Details zu nennen.
Staatstrauer im Libanon
Nach der Tötung von Nasrallah ordnete die libanesische Regierung eine dreitägige Staatstrauer an. Die staatliche Nachrichtenagentur NNA berichtete, während der Staatstrauer von Montag bis Mittwoch sollten die Flaggen an öffentlichen Einrichtungen auf halbmast hängen. Fernseh- und Radiosender würden ihre Programme an das "schmerzhafte Ereignis" anpassen, hieß es. Darüber hinaus soll an dem Tag, an dem Nasrallahs Beerdigung stattfindet, die Arbeit in allen öffentlichen und privaten Einrichtungen eingestellt werden, wie NNA berichtete. Die Hisbollah hat bisher nicht bekanntgegeben, wann Nasrallah beerdigt werden soll.
Statement von Joe Biden
US-Präsident Joe Biden hat am Samstag die Tötung Nasrallahs als "eine Maßnahme der Gerechtigkeit" für seine zahlreichen Opfer bezeichnet. Er sagte, die Vereinigten Staaten unterstützten voll und ganz das Recht Israels, sich gegen vom Iran unterstützte Gruppen zu verteidigen.
Biden berichtete weiter, er habe Verteidigungsminister Lloyd Austin angewiesen, die Verteidigungsposition der US-Streitkräfte im Nahen Osten weiter zu verbessern, um Aggressionen abzuschrecken und das Risiko eines größeren Krieges zu verringern. Letztlich strebten die USA eine Deeskalation der laufenden Konflikte im Gazastreifen und im Libanon mit diplomatischen Mitteln an, sagte er.
Kritik an Israel
Die Türkei, China, Russland und auch Deutschland übten Kritik an den Angriffen Israels auf den Libanon, ohne dabei Nasrallah namentlich zu erwähnen. Die jüngsten israelischen Angriffe im Libanon seien Teil einer Politik "des Völkermords, der Besatzung und der Invasion", schrieb der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem Kurznachrichtendienst X. Der UNO-Sicherheitsrat und andere Gremien müssten Israel Einhalt gebieten.
Irans geistliches Oberhaupt an sicheren Ort gebracht
Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei erklärte, die "zionistischen Verbrecher" seien "viel zu unbedeutend, um der starken Struktur der Hisbollah im Libanon schweren Schaden zufügen zu können". Alle Muslime müssten entsprechend ihrer Möglichkeiten dem libanesischen Volk und der "stolzen Hisbollah" beistehen, sagte Khamenei am Samstag. Khamenei ist Insidern zufolge an einen sicheren Ort gebracht worden.
Israelische Armee gibt Luftangriffen Codenamen "Neue Ordnung"
Die israelische Armee hat dem massiven Luftangriff in einem Vorort von Beirut am Freitag den Codenamen "Neue Ordnung" gegeben. Das Militär veröffentlichte in der Früh Fotos von dem Angriff, dessen Ziel gewesen sei, Nasrallah zu töten.
Bisher schwerster Schlag Israels gegen Hisbollah
Der Tod Nasrallahs, der die Organisation seit 30 Jahren anführte, ist der schwerste Schlag Israels gegen die Hisbollah und damit einen ihrer größten Feinde seit Jahrzehnten. Nasrallah sei auf die "Seite seines Herrn" gewechselt und habe sich seinen "großen und unsterblichen Märtyrern angeschlossen", teilte die proiranische Schiitenmiliz auf Telegram mit. Welche Folgen das für den Konflikt mit Israel, für die Nahost-Region sowie im Libanon selbst haben wird, ist zurzeit kaum absehbar.
Die schiitische Organisation ist durch den Tod ihres charismatischen Anführers, der als eigentlich mächtigster Mann im Libanon galt, gewissermaßen kopflos. Ohne Chef und nach Tötung fast der gesamten oberen Führungsebene ist unklar, wer innerhalb der Hisbollah nun die Kommandos geben könnte, auch bei weiteren Angriffen auf Israel. Vermutlich wird sie Anweisungen des Irans abwarten. Der ist die eigentliche Schutzmacht und wichtigster Unterstützer der Hisbollah. Wie der Iran reagiert, wird sich erst noch zeigen. Fest steht hingegen, die Hisbollah ist nach massiven Angriffswellen Israels so geschwächt und gedemütigt wie seit Jahren nicht.
Wird Nasrallahs Cousin Nachfolger?
Die Hisbollah ernennt ihre Anführer zwar in meist geheimen und eher undurchsichtigen Verfahren. Schon jetzt ist aber ein Name für die Nachfolge im Umlauf: Hashim Safieddine, Chef des Hisbollah-Exekutivrats, gilt als aussichtsreichster Kandidat. Er ist ein Cousin Nasrallahs und Vater vom Schwiegersohn des mächtigen iranischen Generals Qassem Soleimani, der 2020 im Irak durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Der heute 60-jährige Safieddine soll schon seit den 1990er-Jahren auf eine Führungsrolle innerhalb der Hisbollah vorbereitet worden sein. Laut arabischen Medienberichten war er zuletzt unter anderem für finanzielle Fragen und tägliche Abläufe innerhalb der Miliz zuständig.
Möglicherweise Hunderte Tote
Israels Militär griff nach eigener Darstellung das Hauptquartier der Hisbollah an, das sich demnach unter Wohngebäuden befunden haben soll. Nach dem Angriff im Vorort Haret Hreik nahe dem Flughafen waren dichte Rauchwolken zu sehen und anschließend große Trümmerberge. Staatlichen Medien wurden mehrere Gebäude komplett zerstört. Deshalb könnte es Dutzende oder sogar Hunderte Tote geben. Dem Gesundheitsministerium zufolge wurden mindestens sechs Menschen getötet und 91 verletzt. Sechs Gebäude seien nach den schweren Explosionen zusammengefallen.
Nasrallah war schwierigster Gegenspieler Israels
Nasrallah stand seit 1992 an der Spitze der Schiitenmiliz. Er war einer der schwierigsten Gegenspieler Israels. Er stimmte sich eng mit dem Iran und dessen Revolutionsgarden (IRGC) ab, dem wichtigsten Unterstützer der Hisbollah. Er hat die Miliz in eine deutlich mächtigere und gefährlichere Organisation verwandelt als sie in der Zeit seines Vorgängers war.
Nasrallah schloss sich "Partei Gottes" an
Nasrallah, der im Alter von 64 Jahren getötet wurde und vier Kinder hinterlässt, erhielt seine religiöse Ausbildung in den zwei wichtigsten Zentren der schiitischen Muslime: in der irakischen Pilgerstadt Nadschaf und im iranischen Qom. 1982 schloss er sich der neu gegründeten "Partei Gottes" an.
Konflikt könnte außer Kontrolle geraten
Nach dem Tod von Anführer Abbas al-Mussawi, den Israel 1992 ermordete, wurde er zum Nachfolger gewählt. Als großen Triumph der Hisbollah empfand er den Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Jahr 2000 und den ihrer Beschreibung nach "göttlichen Sieg" nach Ende des Kriegs 2006.
Mit dem Tod Nasrallahs könnte der Konflikt mit Israel, der in den Konfrontationen über fast ein Jahr gewissen Regeln zu folgen schien, noch weiter außer Kontrolle geraten. Allerdings ist nicht klar, ob der Iran als wichtigster Unterstützer der Miliz im Fall eines Kriegs zu Hilfe eilt. Die neue iranische Regierung unter Präsident Masoud Pezeshkian kämpft mit einer schweren Wirtschaftskrise und strebt eine Wiederannäherung an den Westen an. Obwohl Irans militärische Führung nach der Tötung des Hamas-Auslandschefs Ismail Haniyeh Ende Juli Vergeltung ankündigte, blieb diese bis heute aus.
Auch die Hisbollah wurde durch massive Angriffe Israels in den vergangenen Wochen schwer getroffen. Sie ist mit Blick auf ihre Führung, ihre Kommunikationsmittel und wohl auch ihre Kampfmoral deutlich geschwächt.
Mehrere Szenarien wären jetzt möglich: Die Hisbollah könnte den Kampf vorerst aufgeben, den Beschuss Israels beenden, einer Waffenruhe zustimmen und sich - wie es eine UN-Resolution vorsieht - rund 30 Kilometer von der Grenze entfernt zurückziehen. Israel hätte ein Kriegsziel erreicht, wenn mehr als 60.000 Menschen in ihrer Häuser und Wohnungen im Norden des Landes zurückkehren können.
Oder die Hisbollah weitet die Angriffe gegen Israel aus und greift mit modernsten Raketen israelische Städte und militärische Ziele an. Fraglich ist auch, inwieweit der Iran der Hisbollah zu Hilfe eilt. Auch im Libanon ist unklar, in welcher Form die militärisch, politisch und sozial sehr mächtige Organisation fortbestehen wird.
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