Flüchtlinge im Gazastreifen: "Lieber sterben als in Not leben"

Flüchtlinge im Gazastreifen: "Lieber sterben als in Not leben"
Seit einem Jahr leben die Zivilisten im Gazastreifen in Angst und Elend: Hin- und hergetrieben von der israelischen Armee, ausgeplündert durch die Hamas.

„Wir sind neidisch auf die Toten, die haben es hinter sich. Wir leiden weiter in Angst“, beschreibt einer der 1,9 Millionen Flüchtlinge im Gazastreifen seine Lage. Im vergangenen Kriegsjahr gab die israelische Armee 40 Mal Anweisungen an die Zivilbevölkerung, von Bomben bedrohte Regionen zu räumen. In immer neue „Schutzzonen“ zu ziehen, die aber letztlich auch keinen Schutz garantieren.

In diesen Tagen begann ein neuer Ansturm der Armee auf im Norden verbliebene Untergrundnester der islamistischen Hamas-Miliz. Israels Armee erteilt neue Evakuierungsanordnungen. „Wohin können wir denn jetzt noch?“, fragt Achmad, der vor einem Jahr mit seiner Familie in den Süden flüchtete. Im Sommer verließ er die chaotischen Zeltstädte wieder und kehrte in sein Haus im Norden zurück. Genauer: in die Ruinen, die einmal sein Haus waren: „Lieber Zuhause sterben als irgendwo draußen.“

Zurück in die Ruinen

100.000 Menschen sind niemals aus dem nach Kriegsbeginn so heiß umkämpften Norden geflüchtet. Sie leben in Gebieten ohne Krankenhäuser, Schulen und geregelter Nahrungsversorgung. Die sind auch in den südlichen Schutzzonen nicht garantiert. Schutzzonen wurden eingerichtet, als die Kämpfe sich im Frühling in den Süden verlagerten.

Im Spätsommer begann eine Rückkehrwelle der Evakuierten in die noch rauchenden Ruinen im Norden. Bis vor wenigen Wochen war es dort vergleichsweise ruhig gewesen. Doch der Krieg holt alle immer wieder ein. Wo immer Schutzzonen für Zivilisten errichtet werden, erscheint auch die Hamas. Deren Bewaffnete verbergen sich in der Zivilbevölkerung, teilweise sogar in Frauenkleidern. Sie bemächtigen sich der Konvois mit der internationalen Hilfe für die Versorgung der Binnenflüchtlinge.

Zu Kriegsbeginn lief sie mit vielen Problemen an. In den letzten Monaten war sie ungestörter, wenn auch nicht problemlos. Nur wenige Lkws rollen in die Zeltlager der Evakuierten. Die israelische Armee beschießt Hamas-Zellen, wo immer sie auftauchen. Auch in den Schutzzonen, in Hilfskonvois, in den UN-Schulen.

Die Hamas plündert

Die Hamas will an die internationalen Hilfsgüter , wobei sie neben Nahrungsmitteln vor allem die knappen Kraftstoffe für sich beschlagnahmt.

Was übrig bleibt, geht an die Händler. Sie verkaufen die Waren zu völlig überhöhten Preisen auf den Märkten. Eine halbe Milliarde Dollar hat die Hamas auf diese Weise „eingenommen“. Mit dem Geld rekrutiert sie neue Kämpfer, die mit dem gezahlten Sold dann ihre Angehörigen unterstützen kann. Futter für Kanonenfutter.

Wer sich die Preise auf dem Markt leisten kann, gehört nicht unbedingt zu den „Reichen“. Fast alle Menschen sind arbeitslos, haben ihre Einnahmequelle verloren. Aber selbst wer vom Ersparten leben könnte, hat nicht immer Zugriff.

Die Banken arbeiten kaum noch, Hamas hingegen ist allgegenwärtig. Ihren bewaffneten Kampf gegen Israel kann sie kaum noch führen. Aber im Alltag hält sie mit ihren Waffen die Herrschaft über die Bevölkerung aufrecht.

Bald kommt der Winter

Naaman al Dscharad kann es sich selten leisten, für seine Familie auf dem Markt einzukaufen. Eine Frau und sechs Töchter hat er, mit dabei sind aber auch die Familien seiner Brüder. Sie sind vor allem von der internationalen Hilfe abhängig, die nur sporadisch die Zeltstädte erreicht. Jetzt kommt sie wieder seltener.

Das Zelt der Dscharads wurde vor einigen Wochen geplündert. Darum leben sie jetzt auf einer kleinen Decke in Meeresnähe. Wie an einem völlig überlaufenen Strand. Sieben Mal sind sie immer wieder in neue Schutzzonen umgezogen, wie die israelische Armee es forderte. „Wo ist denn noch Platz für uns?“, fragt Naaman. Bald kommt der Winter.

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