Island: Wenn Frauen für einen Tag die Arbeit niederlegen
„Dieser Tag ist für alle Frauen in Island“, sagte eine von Zehntausenden streikenden Bewohnerinnen des Inselstaates am Dienstag in einem TV-Interview. Sie selbst habe Glück, arbeite in einer Firma, in der sie gleich viel bezahlt bekomme wie ihre männlichen Kollegen. „Aber ich bin für meine Töchter hier. Und alle anderen Frauen.“
"Land der Gleichberechtigung"
Island gilt als das „Land der Gleichberechtigung“. In diesem Jahr landete es auf der globalen Rangliste der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen, herausgegeben vom Weltwirtschaftsforum (WEF), zum 14. Mal auf Platz eins – Österreich stürzte um 26 Plätze ab, auf Platz 47. Laut diesem Index hat Island 91,2 Prozent seiner geschlechtsspezifischen Lücke geschlossen, 100 Prozent wären die völlige Gleichberechtigung.
Die Fortschrittlichkeit Islands ist im Vergleich zu anderen Ländern tatsächlich beachtlich: Mehr als zwei Fünftel der Minister und Parlamentarier sind weiblich. Technische Berufe werden von Frauen und Männern gleichermaßen ausgeübt. Und ungefähr 90 Prozent der Väter gehen in Elternteilzeit.
Lohngefälle und Gewalt
„Das hat dazu geführt, dass viele glauben, die Gleichstellung sei erreicht“, wird Sonja Ýr Thorbergsdottir, die den Gewerkschaftsverband des öffentlichen Sektors BSRB leitet, von Medien zitiert.
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Und das ist nicht so. Auch in Island ist noch Luft nach oben, besonders was das geschlechtsspezifische Lohngefälle und die Gewalt gegen Frauen angeht. Um darauf aufmerksam zu machen, legten zahlreiche Frauen für 24 Stunden die Arbeit nieder – die bezahlte, aber auch die unbezahlte. Das Motto: „Das nennt ihr Gleichberechtigung?“
Einige Kindergärten, Schulen, Geschäfte, Banken und andere Einrichtungen mussten den Tag über geschlossen bleiben, weil es an Personal fehlte. Haushalt, Pflege und Kinderbetreuung waren an diesem Tag in vielen Familien zur Abwechslung alleinige Männersache.
Erinnert an Protest 1975
Das Ereignis erinnerte an den legendären Frauenstreik in Island vor 48 Jahren, 1975 – eine Zeit, in der gerade die alltägliche und unbezahlte Arbeit vieler Frauen in der Gesellschaft wenig Anerkennung fand. Damals nahmen mehr als 90 Prozent der Isländerinnen am Streik teil.
Bereits ein Jahr später wurde dann ein Gesetz verabschiedet, das Frauen die gleichen Rechte wie Männern garantierte. Seither gab es einige Frauenstreiks, jener am Dienstag war aber der erste 24-stündige seit 1975.
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Auch die links-grüne Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir und einige ihrer Ministerinnen nahmen an dem Protest teil. In einem Interview sagte sie: „Wir haben es noch immer mit einem geschlechtsspezifischen Lohngefälle zu tun, das für das Jahr 2023 unvorstellbar ist.“ Etwa zehn Prozent Unterschied sind es – in Österreich rund 16.
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