In Österreich ist es üblich, dass Männer 40 Stunden arbeiten, Frauen gehen dafür in Teilzeit arbeiten – zumeist wegen der Kinderbetreuung. Ist das in Finnland auch so - oder gibt es auch hier Gleichberechtigung?
Nein, in puncto Arbeit ist die Verteilung ziemlich gerecht. Es ist normal, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten, zumindest, wenn die Kinder über drei Jahre alt sind. Problematisch bei uns ist nur die Zeit, wenn die Kinder noch sehr klein sind. Da sind noch immer die Frauen zu 95 Prozent zu Hause. Um das zu verbessern, haben wir das Karenzsystem gerade reformiert: Neben einem Kinderbetreuungs-Teil für den Vater und einem für die Mutter gibt es jetzt eine Zeit, die zwischen beiden aufgeteilt werden muss. Konsumiert der Vater die Zeit nicht, verfällt sie.
Wer 40 Stunden arbeiten will, braucht ein wirklich gut ausgestattetes Kinderbetreuungssystem. In Österreich schließen die Kindertagesstätten in vielen Gegenden am frühen Nachmittag – wie geht das in Finnland?
Kindergärten und Krippen sind hier meist länger geöffnet als von 8 bis 16 Uhr. Immer mehr Einrichtungen haben auch am Wochenende und in der Nacht geöffnet - das ist vor allem ein Vorteil für einkommensschwächere Familien, da sie oft im Dienstleistungsbereich, in Industrie und in Pflege tätig sind, wo auch nachts und am Wochenende gearbeitet wird. Diese Einrichtungen gibt es auch in kleineren ländlichen Städten.
Wie teuer sind diese Einrichtungen?
Unsere Gebühren sind einkommensabhängig und nicht an das Alter des Kindes gebunden. Es gibt viele Familien, die überhaupt nicht dafür bezahlen. Ich als Abgeordneter bin auf der höchsten Gebührenstufe, wir zahlen für unseren Dreijährigen etwas weniger als 300 Euro im Monat.
Sowohl die Rechtsregierung vor uns als auch die jetzige Mitte-Links-Regierung haben die Gebühren für Kinderbetreuung gesenkt. Wenn man für Betreuung bezahlen muss, wird das als falscher Anreiz für den Arbeitsmarkt gesehen: Es ist wie eine zusätzliche Besteuerung. Wenn wir die Grenzkosten der Arbeit berechnen, sind Kinderbetreuungsgebühren ein Teil davon.
Wird auch in Unternehmen so gedacht? Ist es gesellschaftsfähig, früher aus der Arbeit zu gehen, um die Kinder vom Kindergarten abzuholen - auch für Sie als junger Vater und Abgeordneter?
Bei uns wird es immer normaler, dass es abends keine Meetings gibt. Ich selbst hole oft unseren Sohn oft vom Kindergarten ab und muss dafür aus dem Plenum oder einer Sitzung weg. Dumme Kommentare habe ich deshalb noch nicht bekommen. Ich war auch der erste männliche Abgeordnete, der die Hälfte der Elternzeit in Anspruch genommen hat.
Aber: Normal ist noch immer nicht, dass Männer wegen der Kinder früher aus der Arbeit gehen. Normalerweise werden Frauen gefragt, wer sich um ihre Kinder kümmert, wenn sie in späten Sitzungen sind. Männern werden solche Fragen nicht gestellt.
Gibt es auch in Finnland einen Trend hin zu weniger Arbeit? Viele junge Menschen hierzulande wollen nicht mehr 40 Stunden arbeiten. Sie wollen mehr Freizeit haben, mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen.
Ja, es gibt die Debatte auch hier. Premierministerin Sanna Marina hat sie aufgegriffen, debattiert werden zum Beispiel die Vier-Tages-Woche oder der Sechs-Stunden-Tag, natürlich bei gleichem Lohnniveau wie heute. Das würde einen ziemlich hohen Produktivitätssprung erfordern. Die Leute diskutieren aber auch vermehrt über die Qualität der Arbeit, dass man bei der Arbeit einen Sinn spüren will - etwas, das tiefer geht, als nur Geld zu verdienen.
Sie sind Mitglied in einem Männerausschuss des Parlaments. Warum ist ein solches Gremium notwendig?
Ja, ich bin Vorsitzender dieses Komitees, es ist das älteste der Welt und existiert seit den 1970ern. Es gibt gute Gründe, sich auf Männer zu fokussieren - etwa die Verschlechterung im Bildungsstandard. Seit den 2000ern wird die Lage vor allem bei Burschen immer prekärer, es gibt einen Teil junger Männer, der gar keine Bildung erhält und sich außerhalb der Gesellschaft bewegt. Sie surfen auch oft in der "Manosphäre" – auf Websites, die männerdominiert und antifeministisch sind.
Ein viel diskutiertes Thema bei uns ist auch, wie weich Männer sein können und dürfen – und ob Vatersein zur Männlichkeit gehört. Viele Podcasts und einflussreiche Instagram-Accounts widmen sich dem, da wird über Gefühle der Männer diskutiert, auch Migranten sind dabei sehr aktiv. Wir haben sogar eine Vereinigung feministischer Männer – sie argumentieren, dass auch Männer vom Feminismus profitieren, weil sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen können und mehr auf ihre mentale Gesundheit achten.
Die Wurzeln dieser Debatten liegen im Krieg. Viele Männer sprachen nach 1945 nie über ihre Erfahrungen, tranken und wurden gewalttätig. Finnland ist noch immer eines der Länder mit der meisten häuslichen Gewalt.
Wie reagieren die rechten Parteien in Finnland auf diese Entwicklungen?
Das Ziel der Gleichstellung ist in Finnland weit verbreitet, alle Parteien haben ihre eigenen Feministinnen und Frauenvereine, auch die rechten. Als wir im letzten Herbst den Zugang zur Abtreibung erleichterten, gab es keine Debatte, erzkonservative Bewegungen wie in den USA oder einigen europäischen Ländern sind sehr marginal. Ein von den USA finanzierter, konservativer Fernsehsender wurde kürzlich geschlossen, weil die Leute kein Interesse daran hatten.
Vielleicht ist die Spaltung der Gesellschaft bei uns auch nicht so groß wie in vielen anderen europäischen Ländern, weil wir uns so sehr der Gleichstellung verschrieben haben.
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