Islamwissenschaftlerin Amirpur: "Die Iraner lassen sich nichts mehr sagen"

Islamwissenschaftlerin Amirpur: "Die Iraner lassen sich nichts mehr sagen"
Warum Israel ein Verbündeter für die iranische Bevölkerung werden könnte und was nötig ist, um das Mullah-Regime zu stürzen, erklärt die Islamwissenschaftlerin und Iranistin Katajun Amirpur.

Vor einem halben Jahr gab es täglich Videos von lautstarken Protesten auf iranischen Straßen, von brutalen Übergriffen und Berichte über inhaftierte und getötete Demonstranten. Inzwischen scheint es rund um die Iran-Revolution ruhiger geworden zu sein. Aber die Frauen gehen trotz Drohungen des Regimes noch immer ohne Kopftuch auf die Straße. Noch immer gibt es fast täglich Giftgas-Anschläge auf Mädchen,  Anti-Regierungsparolen werden auf Wände gesprüht und Regierungsplakate in Brand gesetzt.

Die Iranistin und Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur hat kürzlich das Buch „Iran ohne Islam“ veröffentlicht und gibt im KURIER-Gespräch Einblicke in die Entwicklungen und Ausblicke. 

Islamwissenschaftlerin Amirpur: "Die Iraner lassen sich nichts mehr sagen"

KURIER: Diese Woche war Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs,  zu Besuch in Israel bei Ministerpräsident Netanjahu. Bis zur Islamischen Revolution 1979 hatte der Iran ja eigentlich gute Beziehungen zu Israel.  Welche Bedeutung hat dieser Besuch im Kontext der politischen Situation im Iran?

Katajun Amirpur: Reza Pahlavi installiert sich ja durchaus als mögliche politische Gegenoption zum jetzigen Regime im Iran, auch wenn er immer wieder sagt, er möchte nur für die Transition eine Rolle spielen und nicht unbedingt als künftiger Herrscher. Aber man kann schon annehmen, dass er sich das auch  anders vorstellen könnte. Und in diesem Zuge  möchte er sagen: Unter einem Regime, das von ihm geführt würde, gäbe es keine politischen Probleme mit Israel, Israel müsse sich dann keine Sorgen mehr machen wegen Iran. Damit sucht er einen wichtigen Verbündeten, nämlich Netanjahu, der ja davon ausgeht, dass Iran eine große Bedrohung darstellt.

Es gibt ja im Iran sogar einen öffentlichen Countdown bis zur Zerstörung Israels. Aber wie antisemitisch ist die iranische Bevölkerung?

Die iranische Bevölkerung würde ich nicht als antisemitisch bezeichnen. Es gibt einen offiziellen Hass gegenüber dem jüdischen Staat, einen offiziellen Antizionismus. Aber in der iranischen Bevölkerung wird selten eine Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus gemacht. Iran beherbergt nach wie vor die größte jüdische Gemeinde im gesamten Nahen Osten, abgesehen von Israel selbst. Zwischen 15 und 20.000 Juden und Jüdinnen leben heute noch im Iran. Und wenn man mit denen spricht, berichten sie, dass sie mit den normalen Leuten, mit ihren Nachbarn, mit der Bevölkerung keinerlei Probleme haben. Im Gegenteil. Im Vergleich zu Deutschland muss eine Synagoge in Iran nicht extra geschützt werden.

Bei der Machtübernahme durch die Mullahs 1979 wurde die Islamische Republik von der Bevölkerung mehrheitlich begrüßt. Gleichzeitig gab es schon damals Widerstand gegen das islamische System. Heute sind Umfragen zufolge etwa 80 Prozent der Bevölkerung gegen das Regime. Wann und wodurch hat das Regime den Rückhalt  verloren?

Diese Revolution wird heute in der Literatur oft Islamische Revolution genannt, was ich für falsch halte, denn es war nicht das Ziel ein islamisches System zu etablieren. Es waren zwar viele Islamisten daran beteiligt und der Revolutionsführer war ein Geistlicher. Aber das hat sich erst spät herauskristallisiert, dass er der tatsächliche Führer dieser Revolution wurde.  Das war genauso eine kommunistische Revolution – die kommunistische Partei Irans, die Tudeh, war sehr stark in dieser Zeit. Das gleiche gilt für die Gruppierung, der Volksmudschahedin, eine marxistisch islamistische Gruppierung. Und auch die bürgerlich Nationalliberalen, also die, die es überhaupt nicht im Namen einer oder einer Religion betrieben haben, waren beteiligt. Insofern finde ich diese Bezeichnung islamische Revolution sehr irreführend.

Was ist dann schiefgelaufen?

Nachdem diese Revolution stattgefunden hat, ist sie relativ schnell von den Islamisten gekapert worden – also von den Islamisten um Ayatollah Khomeini. Und der hat der iranischen Bevölkerung damals eine Fangfrage gestellt, als es darum ging, was das nächste System werden sollte. Er hat sie gefragt: Wollt ihr das bestehende System oder eine islamische Republik? Das bestehende System wollte natürlich niemand. Deswegen hatte man ja gerade eine Revolution gemacht. Aber was eine islamische Republik ist, das wusste auch niemand. Es gab zu diesem Zeitpunkt keine andere Islamische Republik auf der Welt und es war auch nicht so, als hätte man im Vorfeld der Bevölkerung explizit in Radiosendungen, im Fernsehen und auf Flugblättern erklärt, was denn das überhaupt sei. Und zu dem Zeitpunkt der Abstimmung war es auch überhaupt noch nicht ausgemacht, dass das System installiert werden sollte, das dann installiert wurde – nämlich die velayat-e faqih, die Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten.

Was ich damit sagen will ist, man kann diese Zustimmung so eigentlich gar nicht lesen. Es gab diese Volksabstimmung und da haben  sich glaube ich 99,5 Prozent tatsächlich für die Islamische Republik ausgesprochen. Aber es gab gar keine Alternative und kein Mensch wusste, was eine islamische Republik überhaupt ist. Es wurde dann sehr schnell klar, dass die Rechte  der Menschen eher eingeschränkt werden als erweitert. Der Widerstand hat sich tatsächlich  schon in den ersten Wochen und Monaten artikuliert und nicht nur von den Frauen, sondern auch von den anderen politischen Gruppierungen, die gemerkt haben, dass sie langsam aber sicher ausgebootet  werden.

Warum wurde dieser Prozess nicht verhindert?

Als Saddam Hussein 1980 in Iran einmarschierte, war natürlich der Krieg die oberste Priorität im Staat und auch die oberste Priorität für alle Oppositionellen und alle Andersdenkenden. Und für alle, die gesagt haben, eigentlich läuft hier was ganz falsch in diesem Staat. Dann ging es erst einmal darum, sich dem Aggressor zu widersetzen und es wurde dementsprechend dann auch jeder, der den Mund aufmachte, sofort als fünfte Kolonne des Feindes diskreditiert.

Viele Frauenrechtlerinnen haben dann gesagt, natürlich wollte ich dagegen protestieren, aber ich kann doch hier nicht für so ein „kleines Recht“ protestieren, wenn es darum geht, dass Menschen an der Front sterben. Und deshalb ist dieser Prozess erst einmal acht Jahre lang mehr oder minder zum Ende gekommen.

Im Rahmen bisheriger Aufstände und Protestbewegungen war ja immer wieder die Hoffnung auf eine Reform. Warum sind Reformen heute nicht mehr denkbar?

 Weil die Menschen heute sagen, wir haben spätestens seit 1997 den Reformern die Chance eingeräumt, das System von innen heraus zu reformieren. Sie dachten, das ist der bessere Weg, weil Revolutionen sind ja auch sehr kostspielig für eine Bevölkerung.  Aber alles, was sie versucht haben, ist an diesem massiven Bollwerk der Radikalen gescheitert, die eben zu keinerlei Zugeständnissen bereit sind und die nicht einmal kleinere Räume öffnen für einen langsamen Wandel der Politik.  Es ist ein Thema, das schon seit vielen Jahren gärt und seit vielen Jahren immer wieder zu  sehr großen Protesten und Demonstrationen führt.

In Ihrem Buch „Iran ohne Islam“ sprechen Sie an, das sich sogar das Regime selbst immer mehr vom Islam abwendet. Wie religiös sind die Machthaber des Landes noch?

 Es ist schwer zu sagen, was Sie für eine persönliche Religiosität haben. Man kann aber ablesen, inwieweit sich das Regime selbst noch an islamische Vorgaben hält. Und da ist Ayatollah Khomeini mit einer wegweisenden Fatwa maßgeblich gewesen – einem Rechtsgutachten. Da hat er gesagt, prioritär ist nicht der Islam, sondern der Nutzen für das System. Und alles, was dem Machterhalt dient, sei insofern legitim. Das heißt wie er wörtlich sagte: Wenn es dem Erhalt des Systems dient, dann ist es auch legitim, Moscheen zu zerstören und das Fasten nicht einzuhalten, was ja nun  zwei sehr zentrale islamische Glaubensgrundsätze sind.Damit war klar,  dann muss das alles mit dem Islam überhaupt nichts mehr zu tun haben. Und so sah  ab dem Zeitpunkt die Gesetzgebung aus. Also zum Beispiel so etwas wie ein Zinsverbot – der Islam kennt theoretisch ein Zinsverbot, damit kann man aber keinen Staat machen und irgendwie muss man rauskommen aus dieser Nummer. Und damit hat Ayatollah Khomeini  den Staat emanzipiert von dem recht strengen Korsett des islamischen Rechts. Das betrifft aber immer nur die Fälle, wo es dem System in den Kram gepasst hat. Man hätte natürlich mit dieser Fatwa auch  Frauen mehr Rechte geben können.  Hat man aber nicht, weil es  im Nutzen des Systems lag, das so zu belassen, um eine patriarchalische Gesellschaftsordnung vorzuschreiben.

Man liest sehr oft: „Wenn das Kopftuch fällt, fällt auch das Regime.“ Das Kopftuch ist  aber nur Symbol für den Befreiungsschlag vom Regime: Männer dürfen keine kurzen Hosen tragen, Frauen sind Menschen zweiter Klasse. Was wäre nötig, um das System tatsächlich zu stürzen?

Die Proteste müssten quantitativ zunehmen. Es sind immer noch zu wenig Menschen auf den Straßen. Es müsste zu landesweiten Streiks kommen. Das ist das, was wirklich das System bedroht. Und vor allem bräuchte es Risse in der Führung. Man hört, dass es da durchaus Widerstände und Absetzbewegungen gibt. Und dass es starke Kritik gibt an der Art und Weise, wie  mit den Protesten umgegangen wird, aber es braucht noch größere Risse.Wenn bis zu 85 Prozent nicht wollen, dass dieser Staat so bestehen bleibt, gibt es immerhin noch 15 Prozent, die das durchaus wollen. Weil sie sehr gut leben können mit diesem Staat. Das sind dann entweder Mitglieder der Revolutionsgarden oder sonstige Profiteure. Außerdem haben sie die Bevölkerung in den letzten 44 Jahren so terrorisiert, dass sie sich auch vorstellen können, wie die Rache dieser Menschen ihnen gegenüber aussehen wird – sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Und diese 15 Prozent sind durchaus in der Lage, 85 Prozent in Schach zu halten. Andererseits haben wir auch nie daran geglaubt, dass die Berliner Mauer fällt. Und irgendwann war sie ziemlich plötzlich weg.

Das Experiment einer islamischen Demokratie scheint ja auf jeden Fall gescheitert. Kann sich denn dieses System, die Theokratie, trotzdem noch retten?

Nur weiterhin durch massive Unterdrückung. Und nach dem Ableben des Revolutionsführers Khamenei kann  eine Militärdiktatur in Iran errichtet werden. Er ist ja relativ alt und krank (Jahrgang 1939) und man fragt sich ja schon, was kommt danach? Es gibt da ein paar Dinge, die politisch angedacht werden: Dass er durch einen Rat vertreten wird oder auch, dass sein Sohn installiert wird. Dass es immer noch so ein System gibt, das sich dann die Führung des Obersten Rechtsgelehrten nennt.

Was ist für Sie das realistischste Szenario für die nächsten fünf Jahre?

Das wäre eine Frage für die  Glaskugel. Aber ich glaube, die iranische Gesellschaft hat ein wahnsinnig großes Potenzial für eine richtig gute Gesellschaft, weil sie hochgebildet ist, weil sie weiß, was ein Rechtsstaat ist, was eine Demokratie ist. Und weil sie  die Faxen dicke hat und weiß, dass ein säkularer Staat, der den Menschen Freiheiten gibt, die einzig wirklich gute Alternative ist. Auch in Bezug auf patriarchalische Gesellschaftsbilder hat sich unglaublich viel getan. Man kann keine gerechte Gesellschaft haben, wenn Frauen Menschen zweiter Klasse sind.

Dass sich Männer jetzt so stark solidarisieren, war vor zehn Jahren noch undenkbar. Da ist heute eine Generation unterwegs, die völlig anders tickt. Die lässt sich nicht mehr indoktrinieren. Gucken Sie sich diese jungen Mädchen an, denen gesagt wird, Ihr dürft euer Kopftuch nicht abnehmen: Dann stellen sie sich hin, nehmen eine Plastikflasche und bewerfen den Schuldirektor damit, weil sie nichts anderes als Wasserflaschen als Waffe haben. Sie sagen: Nein, du kannst mich mal, ich mach das nicht mehr so, wie du das sagst. Und das ist, glaube ich, was ganz anderes als das,  was wir bisher hatten. Und deswegen bin ich da am Ende des Tages tatsächlich optimistisch, dass das jetzt klappen könnte.

Ich sehe sehr viel Potenzial in dieser so jungen Gesellschaft, die sich einfach nichts mehr sagen lässt. Und auf der anderen Seite steht eine völlig vergreiste Männergesellschaft, die ihr nichts zu bieten hat und von der sie Lichtjahre entfernt ist im Denken und Tun.

 

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