Ich spreche seit 2017/18 vom Beginn eines langfristigen revolutionären Prozesses im Iran. Dessen Ende ist schwer einzuschätzen, könnte aber schlagartiger kommen als gedacht – ähnlich wie in Syrien. Zwischen den beiden Regimen sind aber nicht nur Parallelen, sondern auch Unterschiede zu erkennen. Für Assad gab es innerhalb der eigenen Bevölkerung kaum Unterstützung, so ist das auch beim Regime im Iran, deren äußerst ausgedünnte soziale Basis seit Jahren vielleicht noch 15 Prozent umfasst.
In Syrien haben wir gesehen, wie die Armee sich zum Teil widerstandslos ergeben hat. Das war auch eine Folge der mickrigen Bezahlung der Streitkräfte. Im Iran sehen wir einerseits, dass die Revolutionsgarden sicher kein solcher Papiertiger sind, wie die syrische Armee sich als einer herausgestellt hat. Andererseits gibt es aber eine sozioökonomische Kluft zwischen den einfachen iranischen Soldaten, die unter der horrenden Inflation leiden, gegenüber einer Oligarchie der Generäle.
Kurzum: Die Islamische Republik Iran ist nicht dermaßen morsch wie das Regime von Assad es am Ende war, aber es sind deutliche Risse innerhalb des iranischen Sicherheits- und Repressionsapparates erkennbar. So hatte das iranische Regime Probleme, diesen bei der Niederschlagung der revolutionären „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste 2022 vollends zu mobilisieren.
Probleme gibt das Regime in der Regel nicht zu. Jüngst wurde ein neues, noch strengeres Kopftuchgesetz vertagt – aus Angst vor erneuten Großprotesten, wie es sie 2022 gab?
Ja, die Proteste beeinflussen nach wie vor die iranische Innenpolitik und man schreckt davor zurück, gewisse Gesetze zu implementieren, obwohl man sie zum Teil trotzdem praktiziert. Man geht nicht bis zum Äußersten, damit sich kein Funke entzündet. Das gilt auch beim Thema Energiesubventionen, die man aufgrund der leeren Staatskassen schon länger kürzen will – aber beim letzten Versuch im November 2019 kam es ebenfalls zu landesweiten Protesten.
Der iranischen Wirtschaft geht es aus mehreren Gründen sehr schlecht, einer sind die US-Sanktionen. Vor diesem Hintergrund blickt Teheran nervös auf die Amts-Wiedereinführung von Erzfeind Donald Trump. Welche Eskalation ist in dieser Auseinandersetzung denkbar?
Die iranische Führung nimmt zwei Akteure ernst. Einerseits Israel, das die Flügel der iranischen Regionalpolitik gestutzt hat und die Luftabwehrsysteme der strategisch wichtigen Einrichtungen des Systems ausgeschaltet hat. Es gibt die Befürchtung, dass es zu einem weiteren, größeren Angriff auf den Iran kommt, was sich als verheerend für das Regime herausstellen könnte.
Und eben Trump. Nachdem er wiedergewählt wurde, hat der Wert der Währung Rial einen weiteren historischen Tiefpunkt erreicht. Iranische Offizielle haben über Trumps letzte Amtszeit gesagt, dass Iran unter seiner Politik des „maximalen Drucks“ die schwersten Jahre für das Regime jemals waren – es hat durch die Sanktionen mindestens 200 Milliarden US-Dollar an Öleinnahmen verloren. Möglicherweise kann das Regime bald seine Staatsbediensteten – darunter den Repressionsapparat – nicht mehr so zahlen, wie es will.
Die Kombination aus der militärischen Stärke Israels, der Wirtschaftskrise und der Trump’schen Unberechenbarkeit führt dazu, dass 2025 ein – um es gelinde zu formulieren – äußerst schwieriges Jahr für das iranische Regime wird.
Ihr Buch heißt „Iran - Wie der Westen seine Werte und Interessen verrät“. Was sind denn die größten Fehler, die Europa Ihrer Ansicht nach in seiner Iran-Politik gemacht hat und macht?
Es gibt etwa eine große Parallelität zwischen der europäischen Russland- und Iran-Politik. Dazu gehört die Idee, dass Handel mit autoritären Regimen zu einer wirtschaftlichen und politischen Öffnung ihrerseits führt. Aber das ist eine Fata Morgana. Die Europäer ignorieren im Zuge dieser Falscheinschätzung gewisse Maßnahmen und glorifizieren iranische Präsidenten, auch den aktuellen, Peseschkian – so wie sie früher einmal Putin als einen Modernisierer und Reformer dargestellt haben. Man fokussiert sich auf einen Präsidenten und verklärt ihn, obwohl die wahre Macht seit 1989 bei Ali Khamenei liegt – der nicht nur der religiöse, sondern auch politische und miliärische Führer ist – sowie den Islamischen Revolutionsgarden. So will Europa einen Annäherungsversuch mit Teheran rechtfertigen.
Um noch ein Beispiel zu nennen: Die europäische Iran-Politik fokussiert sich vor allem auf das iranische Atomprogramm, was eine sehr eurozentristische Sichtweise ist und den geopolitischen Bedingungen vor Ort nicht gerecht wird. Mehrere Staaten der Region haben den Wiener Atomdeal 2015, für den der Westen sich selbst gefeiert hat, kritisch gesehen. Denn dort hat man nie das Atomprogramm als die größte, von Iran ausgehende Gefahr gesehen – sondern seine Raketen, Drohnen und vor allem die Milizen in der Region.
Die Iraner wissen, wie sehr das Thema Atomprogramm in Europa für Panik sorgt – und spielen immer wieder damit, ähnlich wie Putin. Fokussiert man sich weiter nur darauf, ist das ein strategischer Vorteil für Teheran. Europa reagiert dann nur, Iran gibt den Takt vor.
Wie könnte eine aktivere EU-Iran-Politik aussehen, die sowohl den europäischen Werten entspricht als auch eine Wieder-Annäherung an einen – zumindest kleinen – Atomdeal wahrscheinlicher machen würde?
Es braucht einen Paradigmenwechsel – weg von einer kurzfristigen und -sichtigen Politik, die das Regime durch ökonomische Zusammenarbeit stabilisiert. Die Verhandlungsagenda muss ausgeweitet werden. Europa hat auch Druckmöglichkeiten, die es noch nicht genutzt hat. Die Dutzenden EU-Sanktionen seit 2022 waren mild, aufgrund der Obsession mit dem Atomdeal. Die könnten schärfer sein und sie sollten gegen die hauptsächlichen statt der zweit- und drittklassigen Figuren des Regimes gehen. Auch gegen die iranische Oligarchie in Europa könnte man Sanktionen auferlegen, da hat man kaum etwas gesehen.
Eine weitere Möglichkeit: Der sogenannte Snap-Back-Mechanismus des Atom-Deals – also die Wieder-Einsetzung von UN-Sanktionen, die die Europäer jetzt noch selbst aktivieren könnten, ohne dass Russland oder China Veto einlegen könnten. Im Oktober dieses Jahr läuft diese Option aus. Die Revolutionsgarden könnte man zudem auf die EU-Terrorliste setzen.
Und, noch wichtiger: Europa könnte stärker versuchen, die westliche Iran-Politik mit Washington zu koordinieren. Damit könnte Europa auch an Einfluss und Standing gewinnen – denn ohne die USA nimmt Iran es nicht ernst.
Kommentare