Eigentlich sollte es ja bei diesem EU-Gipfel um langfristige Planungen für die Zukunft Europas gehen, doch die aktuelle Weltpolitik hat den Staats- und Regierungschefs wieder einmal in die Tagesordnung gepfuscht. Wie man den Kontinent besser für den globalen wirtschaftlichen Wettbewerb rüsten könnte – diese Grundfrage, die die EU ohnehin ständig vor sich herschiebt, wird auch diesmal auf den zweiten Tag des Gipfels verschoben.
Denn zuerst einmal gibt es beim Abendessen und in den voraussichtlich langen Nachtstunden danach nur ein Thema: Was kann die EU gegen eine weitere Eskalation in Nahost tun, vor allem aber, wie stoppt man das Regime, das nicht nur für die jüngste Eskalation verantwortlich ist: Die Mullahs in Teheran?
Drohnen als Exportschlager
Sanktionen werden geplant, wieder einmal: Es ist die ohnehin seit Jahrzehnten eingesetzte wirtschaftliche Allzweckwaffe gegen den Iran. Diesmal soll es gegen die iranischen Drohnenbauer gehen.
Schließlich sind 180 dieser unbemannten, mit Bomben bestückten Flugkörper gerade in Richtung Israel geschickt worden, dieselben Drohnen übrigens, mit denen Russland seit Beginn seines Überfalls auf die Ukraine gegen Städte, Dörfer und Infrastruktur des Nachbarlandes einsetzt.
Eine ganze Reihe an Firmen, die da mitbauen, hat die EU schon im Vorjahr mit Sanktionen belegt. In der Praxis heißt das: Keine Technik aus dem Westen für diese Firmen, keine Bankgeschäfte mit ihnen und Einreiseverbot in Europa für deren Führungskräfte.
Israel-Iran-Konflikt: "Einen großen Krieg kann ich mir eher nicht vorstellen"
Aussicht auf Atombomben
Jetzt werden wohl weitere Namen auf diesen Sanktionslisten hinzugefügt. Lang genug sind die ohnehin schon. Schließlich werden solche Listen ja inzwischen seit Jahrzehnten geführt. Als Mitte der Nullerjahre bekannt wurde, dass der Iran an einem geheimen Atomprogramm bastelte, dessen – wenn auch von Teheran immer verleugnetes Ziel – wohl der Bau eigener Atombomben ist. Man drohte, sanktionierte die beteiligten Firmen und Forscher, verhandelte und lauschte den bedrohlich klingenden Berichten der Atominspekteure der UN-Atombehörde IAEO in Wien.
Schließlich schaffte man 2015 in Wien einen Deal, der versprach dieses Atomprogramm unter Kontrolle zu bringen und auf einen zumindest kurzfristigen Pfad umzuleiten. Dann aber kam Donald Trump ins Weiße Haus, kündigte den Deal auf, die Mullahs taten das Gleiche. Die EU aber versuchte den Frieden zu retten, ignorierte die Drohungen aus Teheran und die Tatsache, dass dort die Atomtechniker ihre Arbeit wieder beschleunigten.
„Nur Wochen bis zur Bombe“
Das Ergebnis bekam die Weltöffentlichkeit vor wenigen Wochen aufgetischt, von der IAEO in Wien. Deren jüngster Bericht macht deutlich, dass der Iran alle wesentlichen Bauteile einer, oder mehrerer Atombomben fertiggestellt hat, inklusive der dafür notwendigen Mengen an spaltbarem Uran – genau das radioaktive Material also, dessen Produktion all die Atomverhandlungen verhindern sollten.
Die Schlussfolgerung der IAEO war ebenso klar wie bedrohlich: Der Iran müsse all diese Teile nur noch zusammensetzen, und das sei eine Angelegenheit von Wochen.
Zahnlose Sanktionen
Die Sanktionen haben also den Weg des Iran über Jahre bestenfalls verlangsamt. Eine ernüchternde Erkenntnis, die sich aber nicht nur auf das Atomprogramm beschränkt. Irans gesamte Wirtschaft, vor allem aber die Ölindustrie, die mit ihren Einnahmen den Gottesstaat am Laufen hält, hat über die Jahre Schleichpfade gefunden, um westliche Sanktionen zu umgehen. Eine riesige Flotte an Tankern, die unter falscher Flagge fahren, bringt das iranische Öl auf die Weltmärkte. China und Indien kümmern sich als wichtigste Kunden des Iran ohnehin nicht um westliche Blockaden. Zugleich liefert China den Iranern das meiste jener Technik, die nicht mehr aus dem Westen kommen darf.
Die Drahtzieher
Um die Sanktionen aber wirksamer zu machen, den Iran also tatsächlich unter Druck zu setzen, müsste die EU eine der Machtzentralen des Gottesstaates ins Visier nehmen: Die Revolutionsgarden. Diese Elitetruppe, die unter dem direkten Befehl der religiösen Führung steht, schickt im Inland ihre Schlägerbrigaden gegen jede Protestbewegung. Als im Vorjahr Hunderttausende Iraner auf die Straße gingen, um nach der Ermordung des kurdischen Teenagers Masa Ahmini gegen das Regime zu protestieren, wurde der Aufstand schließlich von den Revolutionsgarden mit Gewalt niedergeschlagen. Im Ausland koordinieren die Revolutionsgarden den Kampf von Irans Handlangern im Libanon, im Irak und in Jemen, gegen Israel und den Westen.
Die Wirtschaft in der Hand
Zu all dieser militärischen, kommt eine riesige wirtschaftliche Macht: Rund 30 Prozent, so westliche Schätzungen, der gesamten iranischen Wirtschaft stehen unter Kontrolle der Garden. Sie zu sanktionieren steht seit langem auf der Wunschliste der EU-Regierungschefs. Zahlreiche Namen aus der Führung stehen längst auf den Sanktionslisten.
Auch jetzt, auf diesem EU-Gipfel steht wieder die Forderung in Raum, endlich wirkungsvoll etwas gegen diese tragende Säule des Mullah-Regimes zu tun. Entsprechend bitter daher die Einsicht, wie gering die Aussichten dafür sind.
Die Geschäfte der Revolutionsgarden sind längst in ein undurchdringliches Netz eingehüllt. Die Geschäfte betreiben Schattenmänner und deren Tarnfirmen, das Geld läuft über die Arabischen Emirate, oder Kasachstan und bleibt dort für die westlichen Ermittler unauffindbar.
Als „Terrororganisation“, als die sie USA bereits sehen, solle man die Revolutionsgarden einstufen, ist eine Forderung, die auch viele in der EU seit langem erheben. Ein „symbolischer Akt“, wie manche EU-Vertreter eingestehen – und sogar der braucht endlose juristische Vorläufe in den einzelnen EU-Staaten. Es wird also auch diesmal in Brüssel bei ein paar neuen Namen auf den Sanktionslisten bleiben – und bei einem Iran, der sein gefährliches Spiel im Nahen Osten fortsetzt.
Kommentare